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Die neue Pasok mit dem Rücken zur Wand

Nach drei Jahren Regierung Simitis sind die Griechen ernüchtert: Studenten demonstrieren, Bauern wollen auf die Barrikaden gehen. Ob Simitis bis zum Ende seiner Amtszeit im Herbst 2000 durchhält, ist fraglich  ■ Von Niels Kadritzke

Berlin (taz) – Dem Jubilar ist nicht nach Feiern zumute. Drei Jahre ist der griechische Ministerpräsident Kostas Simitis im Amt, doch ob er es auch am Ende des vierten noch ist, erscheint völlig offen. Die Proteste gegen das Schulreformgesetz der Regierung, die seit Tagen das Athener Straßennetz blockieren, sind ein Menetekel für die Pasok-Regierung. Militante Schülerdemonstrationen, streikende Lehrer, 700 besetzte Gymnasien im ganzen Land signalisieren unübersehbar, daß die Reformpolitik von Simitis gerade bei den Gruppen nicht ankommt, die er als natürliche Verbündete seiner „Modernisierungspolitik“ sieht.

Die Pasok-Regierung steht drei Jahre nach Ablösung des Parteigründers und langjährigen Übervaters Andreas Papandreou mit dem Rücken zur Wand. Ende Januar wollen auch die Bauern auf die Barrikaden gehen. Wenn sie mit ihren Traktoren die Verkehrsader Athen–Thessaloniki blockieren, droht dem Land ein ökonomischer Infarkt, der das wichtigste Projekt der Regierung gefährden würde: den Beitritt zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Griechenland ist das einzige EU-Land, das der WWU noch nicht angehört, weil es die Beitrittskriterien verfehlt. Um wenigstens ab 2001 dabeizusein, muß die griechische Volkswirtschaft Ende 1999 die wirtschaftspolitischen Kriterien nacherfüllen. Und das ist nur bei konstantem Wirtschaftswachstum und strenger Budgetdisziplin zu schaffen.

Der Beitrittstermin wirkt heute realistischer als die Aussicht, daß es 2001 noch eine Regierung Simitis gibt. Der Hoffnungsträger von 1996, der nicht nur die griechische Gesellschaft, sondern auch die Pasok erneuern wollte, hat weder als Regierungschef noch als Parteivorsitzender überzeugt. Zwar wird der Parteitag im März noch keinen Wechsel an der Pasok-Spitze bringen. Simitis großer innerparteilicher Rivale, Verteidigungsminister Akis Tsochatslopoulos, kann den Aufstand erst wagen, wenn der Regierungschef nachweislich verschlissen ist. Den Nachweis könnten die Europawahlen im Juni bringen, für die ein Sieg der Oppositionspartei Nea Dimokratia (ND) mit 5 bis 8 Prozent Vorsprung prognostiziert wird. Eine Niederlage im Juni könnte die Demontage von Simitis durch die eigene Partei auslösen und seine bis Herbst 2000 dauernde Amtsperiode vorzeitig beenden.

Das politische Sturmtief der Athener Regierung ist nur zum Teil eine Simitis-Krise. Zwar hat der Ministerpräsident in drei Amtsjahren viele seiner Anhänger enttäuscht, die ihm eine entschlossenere und publikumswirksamere Reformstrategie zugetraut hatten. Daß heute nur noch 30 Prozent der Griechen Simitis wollen, spiegelt aber vor allem ein strukturelles Problem des Regierens. Unter dem beschleunigenden Zwang der WWU-Qualifikation prallt jede nachholende Reformpolitik auf gesellschaftlichen Widerstand. Wo der Problemstau am größten ist, wird besonders erbitterter Widerstand geleistet.

Das Gesetz zur Schulreform ist ein gutes Beispiel, weil es den grundlegenden Widerspruch aufzeigt: Es geht den Betroffenen zu weit und greift dennoch viel zu kurz. Zum einen tut es nichts gegen den Krebsschaden des gesamten Erziehungswesens: die „vormodernen“ Lehrmethoden, praktiziert von unterbezahlten, pädagogisch mangelhaft ausgebildeten Lehrern, die ihren beruflichen Ehrgeiz häufig auf den Zweitjob konzentrieren. Zum anderen will das Gesetz ein logisches Produkt dieses Systems, die zentralisierten Eingangsprüfungen zur Universität, abschaffen und durch Leistungsnachweise ersetzen, die den Lernerfolg der letzten drei Gymnasialjahre widerspiegeln.

Das wäre vernünftig, wenn das ganze Schulsystem vernünftig wäre. Doch weil das nicht so ist, würde die „Reform“ nur die permanente Doppelbelastung verstärken, die das griechische Familienleben und das Familienbudget strapaziert: Dieselben Schüler, die am Morgen in überfüllten Klassen ihren Gratisunterricht abdösen, büffeln am Nachmittag in kleinen Gruppen an einem teuren „Frontistirio“, einem privaten Kolleg, das für alle Schulfächer eine Art Repetitorium bietet. Im Frontistiro und nicht im Gymnasium holen sie sich das Wissen, das über ihren Zugang zur Universität, also über ihre Lebenschancen entscheidet. Dieser Aberwitz wäre nur durch eine Rundumerneuerung des Bildungwesens zu beseitigen. Doch die würde nicht nur jede Regierung überfordern, sondern auch viel Geld kosten. Das gilt für alle Bereiche der griechischen Gesellschaft, die unter einem jahrzehntelangen Reformstau leiden. Insofern zahlt Simitis jetzt die Rechnungen, die frühere Regierungen mit ihrem bequemen Populismus auflaufen ließen. Vor allem unter Papandreou wurden vornehmlich solche Reformen betrieben, die mit Geld – wenn möglich aus EU-Programmen – zu kaufen waren, ohne der Gesellschaft grundlegend neue Anforderungen zuzumuten. Heute muß der Staat im Hinblick auf den WWU-Beitritt, den Simitis zum existentiellen Modernisierungsprojekt ausgerufen hat, vor allem sparen. Für Reformen des bequemen Typs gibt die Kasse nichts her. Und auch Zugeständnisse an sozial Schwache, die den harten wirtschaftspolitischen Austeritätskurs abfedern sollen, sind nicht mehr zu finanzieren.

Das Schicksal der Pasok bei den Europawahlen hängt aber von zwei weiteren Faktoren ab. Der erste kann sich nur negativ auswirken: die EU-Finanzreform des „Genossen Schröder“. Die vorgesehenen Einsparungen im europäischen Agrarhaushalt wie auch die Kürzung der Ausgleichsfonds, die dem ärmeren Süden der EU zugute kommen, hängen über der Regierung Simitis wie ein Damoklesschwert. Denn die griechischen Bauern pflegen Einkommensverluste, die sie aufgrund sinkender EU-Preise erleiden, von der Athener Regierung einzuklagen. Und auch das griechische Bildungswesen ist auf Subventionen aus EU-Töpfen angewiesen, auch wenn diese häufig in den falschen Taschen landen.

Die Regierung Simitis darf dabei nicht einmal laut gegen die Sparpläne des EU-Nordens protestieren, weil sie Ende 1999 mit ihrem Beitrittsbegehren für die WWU auf eine wohlwollende Beurteilung der griechischen Wirtschaftsdaten angewiesen sein wird. Athen kann daher nur auf die Solidarität des EU-Südens setzen, die Simitis mit seinem jüngsten Besuch in Madrid anzuwärmen versuchte.

Der zweite Faktor könnte dagegen positiv wirken: Es mehren sich die Anzeichen, daß der populäre Athener Bürgermeister Avramopoulos eine Partei gründen will, die schon zu den Europawahlen antreten könnte. Die Meinungsforscher trauen dieser Partei bis zu 20 Prozent Stimmen zu, die sie zu zwei Dritteln der oppositionellen Nea Dimokratie und zu einem Drittel der Pasok abnehmen würde. Wenn das stimmt, könnte Avramopoulos für Simitis zum rettenden Faktor werden und der Pasok im Juni einen unverhofften Wahlsieg bescheren. Was das langfristig bedeuten würde, steht auf einem anderen Blatt. Die Etablierung einer zentristischen Partei, die vom Frust über die etablierten Parteien profitiert, könnte die politische Gesamtszene in Griechenland auf Dauer verändern.

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