Fast ein wenig wie Rita Süssmuth

■ Die Union präsentiert ihre Präsidentschaftskandidatin Dagmar Schipanski der Öffentlichkeit

Bonn (taz) – Welchen Wert eine Kandidatin für eine Partei hat, erkennt man manchmal am bereitgestellten Dienstwagen. Im Fall von Dagmar Schipanski war es ein etwas in die Jahre gekommener BMW der 5er-Reihe, mit dem die Unionskandidatin für das Amt des Bundespräsidenten zur Bundepressekonferenz chauffiert wurde.

Quasi aus dem Nichts haben am Wochenende die Spitzen von CDU und CSU die thüringische Professorin für Festkörperelektronik aus dem Kandidatenhut gezaubert. Sie ist nach Annemarie Renger (1975), der Schriftstellerin Luise Rinser (1984) und Hildegard Hamm-Brücher (1994) die vierte Frau, die sich um das Präsidentenamt bewirbt. Zugleich wird sie die vierte Frau sein, die bei der Wahl durchfällt, denn Johannes Rau kann sich am 23. Mai der Mehrheit von SPD und Grünen in der Bundesversammlung sicher sein.

Nervös rieb sich Dagmar Schipanski vor den schweren Holztüren zum Saal der Bundespressekonferenz die Hände. Sie wartete gemeinsam mit CDU-Chef Schäuble und einer Schar von Presseleuten auf den verspäteten bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber und auf ihren ersten Auftritt vor der Öffentlichkeit. Das Gemurmel auf dem Gang ist groß. Erste Fragen werden gestellt, ob sie nervös sei. „Natürlich nicht“, gibt sie bewußt gutgelaunt zurück und zwinkert schelmisch mit dem linken Auge. Dann aber konzentriert sie sich wieder auf ihre Hände. Sie bemüht sich, ernst und staatstragend zu wirken; ein wenig erinnert das an Rita Süssmuth. Zu neu ist alles noch, zu aufregend, obwohl die dreifache Mutter Ämter und Leitungspositionen zuhauf besetzt hat. Von ihrer Position als Rektorin der Technischen Universität Ilmenau abgesehen, sitzt oder saß sie seit 1990 in 15 verschiedenen Gremien und Akademien.

Anders war das vor der Wende. Weil Dagmar Schipanski sich weigerte, in die SED einzutreten, blieb ihr eine wissenschaftliche Karriere trotz herausragender Leistungen versagt. Ihre christliche Überzeugung vertrug sich nicht mit der Weltanschauung des real existierenden Sozialismus, sagt die evangelische Pfarrerstochter. Die PDS habe klar die Nachfolge der SED angetreten und werde ihrem demokratischem Anspruch nicht gerecht, so Schipanski. Mit allen Bundestagsparteien will sie Gespräche führen, mit der PDS aber nicht. Aber auf die Anmerkung einer Journalistin, daß sie auf der einen Seite überparteilich sein wolle, andererseits eine demokratische legitimierte Partei aus ihrem Gesprächsangebot ausschließe, antwortete sie: „Da haben Sie recht. Ich werde das überdenken.“

Nach diesem Satz ist die anfängliche Aufgeregtheit gewichen. Sie beantwortet Fragen nach ihren Standpunkten zur Atomenergie, doppelter Staatsbürgerschaft und Abtreibung, äußert sich zu ihren Zielen, Forschung und Bildung mehr in den gesellschaftlichen Mittelpunkt zu rücken. Die Kandidatur ist ihr wichtig. „Eine Demokratie braucht Alternativen“, sagt sie. Die will sie bieten, als Frau, als Ostdeutsche und als Wissenschaftlerin.

Nach eineinhalb Stunden hat sie ihren ersten öffentlichen Auftritt hinter sich. Erschöpft steigt Dagmar Schipanski in den alten BMW – zum nächsten Interviewtermin. Thorsten Denkler