: Das Frauenhaus Bora fiebert mit
Das Berliner Eiskunstlaufpaar Peggy Schwarz und Mirko Müller präsentiert bei der Europameisterschaft in Prag heute seine ambitionierte Kür über Gewalt gegen Frauen ■ Von Martin Krauß
Berlin (taz) – An einer Stelle der Kür legt Mirko Müller beide Hände an den Hals seiner Partnerin und tut so, als wolle er Peggy Schwarz würgen. An anderen Stellen reißt er sie herum, zwingt sie aufs Eis, und immer droht er mit Gewalt. So bearbeitet das Berliner Eiskunstlaufpaar inmitten all der Axels, Salchows und Rittbergers ein ihm wichtiges Thema, das sie am heutigen Mittwoch bei den Europameisterschaften in Prag vorstellen. Nach dem Kurzprogramm liegen die beiden hinter den russischen Weltmeistern Bereschnaja/ Sicharulidse und Abitbol/Bernardis aus Frankreich auf dem dritten Platz.
„Schreiben Sie ja nicht ,Vergewaltigungskür‘“, sagt Müller über das, was er, Peggy Schwarz, Trainer Knut Schubert und Choreographin Diana Goolsbey ausgearbeitet haben, „es geht um Gewalt gegen Frauen, auf dieses Problem wollen wir aufmerksam machen. Wir inszenieren keine Vergewaltigung.“ Die Idee zu dem Programm, das vom ORB doch „Vergewaltigungskür“ und von der B.Z. „Kampf der Geschlechter“ genannt wurde, kommt von Diana Goolsbey, der amerikanischen Choreographin des Paares und Freundin von Mirko Müller. „Viele Spitzensportler verlieren irgendwann den Bezug zur Realität“, sagt sie, „die verdienen sehr gut, leben nur noch für ihren Sport und bekommen nicht mehr mit, was um sie herum geschieht. So weit war es bei Peggy und Mirko noch nicht, aber nach ihrem dritten Platz bei der Weltmeisterschaft waren sie kurz davor.“ Wegen solcher Überlegungen kam sie im Sommer auf die Idee, dieses Thema als Vorlage für die Kür des Paares zu nehmen.
„Ein Kommentar zur Fajfr-Affäre ist unsere Kür nicht“, stellt Mirko Müller klar. Karel Fajfr war Bundestrainer im Eiskunstlauf, im Dezember 1995 wurde er von der Jugendkammer des Landgerichts Stuttgart wegen des Mißbrauchs Schutzbefohlener zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährungs verurteilt. „An den Namen Fajfr habe ich drei Jahre lang nicht mehr gedacht“, sagt Mirko Müller. „Man muß auch sagen, daß sich in der DEU seit damals viel verändert hat.“ Die Sportler wurden selbstbewußter, die neue Präsidentin Angela Siedenberg verkündete nach ihrer Wahl 1996, was gute Zusammenarbeit angehe, bestehe „erheblicher Handlungsbedarf auf allen Ebenen der DEU“, und international war die Entwicklung sowieso schon fortgeschritten. 1988 hatte das französische Geschwisterpaar Duchesnay eine überall als „Urwaldtanz“ gehandelte Kür im Eistanz geboten, 1990 gar die Unterdrückung in Südamerika inszeniert.
Es gehört auch zu diesem Umbruch, daß es das Paar Schwarz/ Müller überhaupt gibt. Peggy Schwarz hatte eigentlich mit dem Eiskunstlauf aufgehört und wollte sich lieber um ihren Sohn kümmern, und Mirko Müller war gerade auf der Suche nach einer neuen Eispartnerin. „So eine Suche ist fast schwieriger als die Suche nach einer Lebensgefährtin. Es gibt weltweit vielleicht nur vier Läuferinnen von dem Kaliber von Peggy.“ Eine exzellente Schlittschuhläuferin mit Paarlauferfahrung. „Etwa ein Jahr dauert es, bis man sich aufeinander eingestellt hat. Wenn ich mit einer Einzelläuferin zusammenarbeite, würde das einige Jahre dauern.“ Seit dem Juni 1996 trainieren Schwarz und Müller gemeinsam, und die Erfolge stellten sich langsam, aber stetig ein: der neunte Platz bei den Olympischen Spielen im letzten Jahr, der dritte bei den Weltmeisterschaften.
„Solche Plätze sind auch gut, damit die Sponsoren kommen“, sagt Müller. Er lebt, wie auch Peggy Schwarz, von einer Anstellung bei der Bundeswehr. „Die Bundeswehr ist für mich nur Mittel zum Zweck“, sagt er, „auf keinen Fall will ich Berufssoldat werden.“ Seit Sommer dieses Jahres bereiten er, Peggy Schwarz, die Choreographin Diane Goolsbey und der Trainer Knut Schubert die neue Kür vor. Bei den Deutschen Meisterschaften Anfang Januar in Oberstdorf wurden sie ohne große Konkurrenz Erste, die Europameisterschaften finden jetzt statt, sieben Wochen später sind in Helsinki schon die Weltmeisterschaften.
Zu den treuesten Fans des Paares Schwarz/Müller gehören die Mitarbeiterinnen des Ostberliner Frauenhauses Bora. Müller hatte im September 1998 dort angerufen, damit Frauen, die von dem Thema der Kür etwas verstehen, bei der Gestaltung mitreden konnten. Nun fließt ein Teil der Preisgelder, die das Paar einnimmt, an das Frauenhaus. Bei allen Auftritten der beiden waren Mitarbeiterinnen mit einem Transparent vertreten: „Das Frauenhaus Bora fiebert mit Peggy und Mirko.“
Neue Ideen, was das Thema der Kür in der nächsten Saison werden könnte, haben Müller und Schwarz noch nicht, aber ihre Choreographin traut sich einiges zu. Gemeinsam mit Katarina Witt inszenierte Diana Goolsbey schon eine Solokür zum Thema „Schindlers Liste“.
Daß mit solch ambitionierten Projekten die Möglichkeiten, die Sportler im Wettkampf haben, überfordert würden, findet sie nicht. „Es geht doch immer darum, Realität abzubilden“, sagt sie, und Mirko Müller meint: „Die Voraussetzung ist ja, daß das Sportliche stimmt. Wenn die Sprünge und Figuren beherrscht werden, dann kann man darüber hinausgehen.“
Irene Noack, Mitarbeiterin beim Frauenhaus Bora, glaubt, daß es vor allem auf die Gesten neben oder zwischen den Sprüngen ankommt: „Gerade die sind den beiden sehr gut gelungen.“ Daß der Eiskunstlauf wie kaum eine andere Sportart geeignet ist, gesellschaftliche Aussagen mit sportlichen Mitteln zu machen, davon sind nicht nur Müller, Schwarz, Goolsbey und Noack überzeugt. Ein prominenter Vorläufer dieser Theorie war der Schwede Ulrich Salchow, einer der Pioniere dieses Sports. Er schrieb schon 1920: „Unserem Eissport, der von jeher der internationalste von allen war, und seiner allbewährten Organisation obliegt es, in der Zukunft einer noch schöneren und edleren Aufgabe als nur dem Schlittschuhlaufen zu dienen, der nämlich, Verständigung, Hochachtung und Versöhnung zwischen deren Ländermitgliedern zu schaffen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen