piwik no script img

„Schlag das Fagott nicht so...“

■ Sylvain Cambreling leitete begeisternden Dirigierkurs / Heute abend Abschlußkonzert

Der Nimbus des Dirigenten scheint ungebrochen. Zahllos die Geschichten und Legenden über die großen Dirigenten, die in der Regel mehr gehaßt als geliebt werden, wovon wir ja auch in Bremen ein hautnahes Beispiel haben. Zum Beispiel die Legende: Bei einer Probe beschlossen die New Yorker Philharmoniker, zu schmeißen, wie man im Musikerjargon sagt, nachdem Fritz Reiner zynische und beißende Bemerkungen über ihr Spiel gemacht hatte. „Wir blieben absichtlich zurück“, erzählte ein Musiker später, „unser Rhythmus begann zu wanken. Reiner wußte ganz genau, was vorging. Er kniff die Lippen zusammen, und sein Schlag, der von Anfang an klein gewesen war, wurde nun ganz winzig. Wir mußten ihm einfach folgen.“

Welche Ausstrahlung auch immer von Anfang an da ist oder am Ende erreicht wird: unglaublich viel gibt es zu lernen bis dahin. „Mindestens jahrelang ein Vierzehnstundentag“, sagt Matthias Manasi, der jetzt einer der acht Teilnehmer des Dirigierkurses bei dem Belgier Sylvain Cambreling war. Diesen Meisterkurs richtete die Europa-Chor-Akademie an der Hochschule Bremen aus. „Wahrlich luxuriös“, wie ein anderer Schüler, Clemens Berger aus Zürich meinte. „Luxuriös“ meint: Es gab eine knappe Woche Proben mit zwei Klavieren, dann mit den SolistInnen, dann mit dem Chor, und am Ende mit dem Orchester.

„Cambreling ist ein phänomenaler Lehrer, das müssen Sie unbedingt schreiben“, gibt mir einer der Studenten auf. Und Cambreling macht vor, was fast allen noch fehlt: Die Musik entsteht erst durch die Arbeit des Körpers von der Fußzehe bis zur Haarspitze. Da setzt er immer wieder an, da imitiert er Instrumente und Sänger, springt hin und her zwischen der Funktion des Dirigenten und der des oder der Dirigierten. „Dieses Fortissimo darf nicht stehen. Das passiert nur, weil du so unbeweglich stehst.“ „Schlag dieses C vom Fagott nicht so. Es kann nicht atmen.“

„Er hat unglaubliche Erfahrung, ein Riesenrepertoire, und er hat Interesse an uns. Er merkt alles“, sagt Matthias Manasi, der schon Kapellmeister in Kiel und Oldenburg war. Wie ein Luchs paßt Cambreling auf: „Eben hast du es anders gemacht. Was willst du?“ Und auch härtere Worte fallen eher sanft: „Das macht keinen Sinn jetzt, du machst nichts!“

Mit dem von Joshard Daus einstudierten Chor „Bach-Ensemble der Europachor-Akademie“ und dem polnischen Kammerorchester wird heute abend der musikalische Gegenstand des Kurses, Mozarts Messe in c-Moll, unter der Leitung von Sylvain Cambreling aufgeführt. Da werden nicht nur die Studenten und zahlreichen anderen BesucherInnen der öffentlichen Kursarbeit den großen Dirigenten beobachten können, der vor zwei Jahren die Chefposition an der Frankfurter Oper niederlegte, weil er die Arbeitsbedingungen nicht mehr für künstlerisch vertretbar hielt. Ute Schalz-Laurenze

Heute abend in der Glocke: 20 Uhr, Mozart, Messe in c-Moll, KV 427. Polnisches Kammerorchester, Bach-Ensemble der Europa-Chor-Akademie, Leitung: Sylvain Cambreling

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen