: Rettung von der Todesliste
Die Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte hat in den letzten zwölf Jahren Dissidenten aus aller Welt nach Hamburg geholt. Für jeweils ein Jahr werden sie mit dem Lebensnotwendigen ausgestattet und betreut. Ziel: Eine Atempause nach meist langjähriger Verfolgung und Bedrohung. Mit diesem Programm ist die Stiftung zum Modellprojekt für ähnliche Organisationen geworden. Gerade ist sie selbst wieder einmal gerettet worden ■ Von Reinhard Krause
Das Büro wird vom Ausländerbeauftragten der Freien und Hansestadt Hamburg zur Verfügung gestellt und liegt am Ende eines langen Behördenkorridors des Landesarbeitsgerichts. Eine schmucklose Amtsstube mit zwei Schreibtischen, auf denen sich Aktenordner, Broschüren und Bücher türmen. Daß in dieser nüchternen Atmosphäre Menschenleben gerettet werden, ist kaum vorstellbar.
Hier residiert Martina Bäurle, die Vorsitzende und einzige Honorarkraft der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte. Die partei- und senatsunabhängige Organisation hat es sich zur Aufgabe gemacht, politisch Verfolgten aus akuter Gefahr herauszuhelfen, und das heißt meist: aus Lebensgefahr. In Hamburg sollen sie ein Jahr lang Gelegenheit erhalten, sich von Verfolgung und Bedrohung zu regenerieren. Voraussetzung ist, daß die Verfolgten im Kampf für Demokratie und Menschenrechte keine Gewalt eingesetzt haben.
Die Stiftungsgäste werden in Hamburg individuell betreut. Für jeden Einzelfall werden Spendengelder eingeworben; die Stiftung selbst tritt dabei nur selten an die Öffentlichkeit. Womöglich ist gerade diese hanseatische Zurückhaltung der Grund, weshalb die Stiftung in letzter Zeit Geldsorgen drückten. 1998 war das Spendenaufkommen so gering, daß nicht viel mehr als die vom Senat bereitgestellten Mittel zur Verfügung standen. Ohne die rettende Zusage eines ungenannten Spenders, der für dieses und die nächsten vier Jahre jeweils 75.000 Mark zur Verfügung stellt, wäre die Stiftungsarbeit akut gefährdet gewesen.
Gegründet wurde die Hamburger Stiftung im Jahr 1986. Ideengeber war Klaus von Dohnanyi, damals Hamburgs Erster Bürgermeister. Dohnanyi, selbst Sohn eines von den Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpfers, betrachtete die Stiftung als seine Herzensangelegenheit. Vom zunächst eher widerstrebenden Senat erhielt die Stiftung schließlich die Zusage, daß er die Kosten für einen Stipendiaten pro Jahr übernimmt. In den letzten Jahren wurde der Senatsbeitrag auf zwei Stipendien per anno aufgestockt.
Realität werden konnte das Projekt allerdings nur durch die Anschubfinanzierung eines anderen prominenten Hamburgers, des Tabakerben Jan Philipp Reemtsma. Dank Reemtsma und des Senatszuschusses verfügte die Stiftung in den ersten fünf Jahren über einen Jahresetat von 250.000 Mark – genug, um sechs Stipendiaten und ihre Angehörigen ein Jahr lang mit dem Lebensnotwendigen auszustatten.
Die Stiftung versteht sich als Unterstützerorganisation, die sich konkreter Einzelfälle annimmt. Politische Basisarbeit, wie sie Großorganisationen wie amnesty international leisten, kann sie weder personell noch finanziell erbringen. Bei der Bewertung der Einzelfälle arbeitet Martina Bäurle allerdings eng mit Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international, Cap Anamour oder Unicef zusammen. Häufig sind es Empfehlungen dieser Organisationen, die zu einem Stipendium führen. Auch das Auswärtige Amt in Bonn, der Beauftragte für politisch Verfolgte bei der UNO und die deutschen Botschaften in den Herkunftsländern werden regelmäßig zur Recherche und zur abschließenden Beurteilung herangezogen.
Aus der großen Zahl der politisch Verfolgten, die für ein Stipendium in Frage kämen, muß notgedrungen eine Auswahl getroffen werden – ohne Frage der sensibelste Punkt der Stiftungsarbeit. „Es ist immer wieder sehr schwer“, sagt Martina Bäurle, „eine Auswahl zu treffen. In stundenlangen Gesprächen versuchen wir, Unterscheidungskriterien zu finden, die eine Leidensgeschichte dringlicher machen als die andere. Die Stiftung fördert eher diejenigen, die ganz auf sich allein gestellt sind und oft versteckt im Land leben, als diejenigen, die durch Organisationen oder Familienmitglieder noch in irgend einer Form Hilfe erhalten. Ein Menschenleben gegen ein anderes aufzuwiegen ist natürlich eine Unmöglichkeit – wir entscheiden nach unserem besten Wissen und Gewissen.“
Nachdem ein Stipendiat ausgewählt ist, gilt es allerdings noch eine weitere Hürde zu nehmen: Naheliegenderweise wird eine Ausreiseerlaubnis durch das Herkunftsland nur in solchen Fällen erteilt, in denen keine staatliche Verfolgung vorliegt. In der Regel reisen die Stipendiaten zunächst in ein benachbartes Land und erhalten von der dortigen deutschen Botschaft ein Visum für die Weiterreise.
Es gibt Fälle, in denen ein Stipendium nicht angetreten wird, weil sich die Ausgangssituation des Verfolgten verändert hat. So erinnert sich Martina Bäurle an den Fall einer Iranerin, die in der Zwischenzeit bereits in die USA geflohen war. „Diese Iranerin“, so die Geschäftsführerin, „gab ihr Stipendium zurück, und so konnte ein anderer Gast eingeladen werden. In diesem Fall war das zufällig wieder jemand aus dem Iran – eine Länderquote gibt es nicht. Sobald eine neue Spende eintrifft, laden wir den nächsten Stiftungsgast von unserer sorgfältig geprüften und lang diskutierten Warteliste ein.“
In Hamburg angekommen, erhalten die Stipendiaten – und gegebenenfalls deren Angehörige – zunächst einmal eine von der Stiftung angemietete Wohnung und die Möglichkeit, an einem Sprachkurs teilzunehmen. Nicht alle Gäste jedoch sind ohne Anlaufzeit in der Lage und bereit, sich auf die fremde Kultur einzustellen. Häufig müssen sie sich physisch und psychisch zunächst erholen. Die politische Arbeit, die zu ihrer Verfolgung geführt hat, nehmen die meisten Stipendiaten allerdings bald wieder auf, indem sie Lesungen veranstalten, Symposien und Ausstellungen organisieren.
Soweit es in der Macht der Stiftung steht, wird versucht, den Stiftungsgästen beim Wiedereinstieg ins Berufsleben behilflich zu sein. Hamid Skif etwa, algerischer Dichter und Journalist, Stiftungsgast im Jahr 1997, zählt zu den Schriftstellern, denen Kontakte zu deutschen Buchverlagen vermittelt werden konnten. In anderen Fällen ist eine Wiederaufnahme der Berufstätigkeit mit größeren Schwierigkeiten behaftet. Unter den Stiftungsgästen befinden sich auch Künstler, die in ihrer Heimat berühmt und anerkannt waren und die in Deutschland eine Nischenexistenz führen müssen. Keine Schwierigkeiten haben die Stiftungsgäste in der Regel, nach Ablauf ihres Stipendiums in Deutschland Asyl zu beantragen: Immerhin sind ihre Lebensläufe bereits ausführlich dokumentiert und durchleuchtet worden. Einige der politisch Verfolgten kehren jedoch nach ihrem Jahr in Hamburg wieder in ihre Heimatländer zurück und setzen dort ihre politische Arbeit fort. Aber natürlich verbietet sich eine Rückkehr in anderen Fällen, in denen nach wie vor akute Lebensgefahr besteht.
In Algerien zum Beispiel droht häufig Verfolgung von zwei Seiten. Der Journalist und Klimatologe Ali Bensaad etwa wurde in seiner Heimat zum Tode verurteilt für Taten, die er begangen haben soll, als er sich nachweislich in Deutschland aufhielt – als Gast der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte. Zugleich steht Bensaad auf den Todeslisten der islamischen Fundamentalisten. Martina Bäurle: „Herr Bensaad kann natürlich auf gar keinen Fall zurück. Selbst wenn sich die politischen Verhältnisse in der Regierung wandelten, würde sich die Haltung der Fundamentalisten dadurch noch lange nicht ändern. In einem solchen Fall versuchen wir natürlich, hier vor Ort weiterzuhelfen.“
Die zwölf Jahre ihres Bestehens haben gezeigt, daß die Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte von Spendengeldern allein und ohne mittelfristig gewährte Finanzierungshilfen von privater Seite kaum überleben kann. Zwar hat die jüngste Rettung aus akuter Geldnot den Bestand der Stiftung für die nächsten fünf Jahre gesichert, doch spätestens dann wird die Zitterpartie der Finanzierung von vorne beginnen.
Dabei hat sich die Idee der Hamburger Stiftung inzwischen zu einem Vorbild für ähnliche Projekte entwickelt. Auf Initiative des Internationalen Schriftstellerparlaments in Brüssel, der grünennahen Heinrich-Böll-Stiftung und des Deutschen Akademischen Austauschdienstes DAAD wurde 1994 ein europäisches Netzwerk „Städte der Zuflucht“ für verfolgte Schriftsteller und bildende Künstler ins Leben gerufen, für das die Hamburger Stiftung Pate stand. Zu den 25 Mitgliedsstädten gehören Berlin und Frankfurt/ Main, wo zur Zeit der iranische Schriftsteller Faradsch Sarkuhi zu den Stipendiaten gehört. Ein Modell mit Zukunft – und permanenten Geldnöten.
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