■ Bewegungsmelder
: Die U-Bahn als Waffe

Es ist kein Geheimnis, daß Automobile, werden sie von trunkenen Fahrern gesteuert, zur Waffe werden können. Alle Formen der Kriminalität treten dabei zutage: Sachbeschädigung, Körperverletzung, Gefährdung der öffentlichen Sicherheit, Totschlag und Mord. Mit Kontrollen versucht die Polizei, die Missetäter dingfest zu machen. Die Folgen sind bekannt: Man muß über kurz oder lang den öffentlichen Personennahverkehr benutzen.

In der Hauptstadt der Alkoholiker am Steuer sind U-Bahn-Nutzer durch starke Trinker aber nicht weniger gefährdet; besonders in der U-Bahn-Linie 6, einer bekannten Nord-Süd-Strecke, auf der täglich mehrere zehntausend Fahrgäste quer durch die Stadt rumpeln. Die U 6 galt bislang als absolut sicher. Zur Zeit der Mauer bewachten sogar DDR-Volkspolizisten große Teile der Strecke, die unterhalb des östlichen Stadtgebietes fuhr. In den Bahnhöfen Französische Straße oder Oranienburger Tor hielten die Vopos im Halbdunkel der Stationen zur Sicherheit Wache mit Kalaschnikows, damit niemand rausfiel.

Außerdem verringerte der Zug unter dem DDR-Terrain seine Fahrt auf Schneckentempo. „Safety first“ galt als oberste Regel. Von Unfällen, Gefährdungen oder sonstigen außergewöhnlichen Vorkommnissen schweigen deshalb Berichte.

Und auch, als andere Strecken und Bahnhöfe bereits als „soziale Brennpunke“ für Unruhe in den Gazetten sorgten oder wegen ihrer durchgeknallten Fahrgäste zu Theaterstücken („Linie 1“) avancierten, blieb die Linie 6 außen vor. Das mag am Publikum liegen. Tempelhofer oder Tegeler gelten in Berlin als wenig rabaukig, eher als langweilig.

Mittlerweile jedoch ist die U-Bahn-Linie 6 die Gefahrenstrecke Nummer eins in Berlin. Die Gefahr geht von den FahrerInnen der BVG aus. Erst vergangene Woche konnte man das wieder erleben. Ein ganzer U-6-Zug wurde zur Geisel einer diensthabenden BVG-Fahrerin. Die volltrunkene Führerin des Zuges (3,6 Promille) hatte einfach ihren Dienst antreten können. Niemand hielt sie in ihrem Suff auf. Die Folge war, daß der Zug zum Teil über die Bahnsteige hinausschoß.

Oder noch schlimmer war, daß plötzlich im Tunnel die Türen aufgingen. Wäre jemand ausgestiegen, hätte das den sicheren Tod durch Überfahren bedeutet. Starkes Abbremsen des Schnapszuges hat für genug Gefahren gesorgt und warf Passagiere um oder erzeugte Prellungen. Die alkoholisierte Schnapsdrossel wird jetzt wohl Auto fahren müssen. Aber sie ist kein Einzelfall auf der Strecke, eher die Regel, wie man lesen mußte.

Denn der Alkoholmißbrauch von U-Bahn-Fahrern, der bislang nicht akut zu sein schien, ist wohl flächendeckend. Die BVG, sonst bemüht durch Aktionen wie den Pendelverkehr ihr Image vollends zu verspielen, mußte jetzt zugeben, daß große Teile ihrer FahrerInnenschaft im Verdacht stehen, vor dem oder im Dienst zu saufen. Ganze 60 Fahrer hat sie flugs ins Röhrechen pusten lassen. Und weitere 29 Kontrollen sollen folgen. Viele sollen nüchtern gewesen sein. Kündigen will die BVG übrigens ihrer 3,6-Promille-Frau nicht. Die U6 bleibt somit wohl ein Sicherheitsrisiko. Rolf Lautenschläger