: Strom ist nicht nur Handelsware
In Schweden zeigt die Liberalisierung des Strommarkts unerwartete Wirkung: Stromexport mußte gestoppt werden, weil die Eiseskälte die Versorgung gefährdet ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff
Deutschland bekommt seit Donnerstag keinen Strom mehr aus Schweden. Die dortige Netzbehörde griff zu einer bislang noch nie gezogenen Notbremse und verbot dem Stromproduzenten Sydkraft, weiterhin durch das Unterwasserkabel Atomstrom aus Barsebäck nach Deutschland zu leiten, weil die Versorgung im eigenen Land gefährdet ist. Sydkraft befindet sich teilweise in Besitz der deutschen PreussenElektra.
Die strenge Kälte, von im Norden teilweise unter minus 45 Grad brachte die Elektrizitätsversorgung an die Kapazitätsgrenze. Laut der Tageszeitung Svenska Dagbladet drohte eine Stromrationierung, wäre das sofortige Exportverbot nicht verhängt worden. Schweden importiert nunmehr selbst in erhöhtem Maße Strom aus Dänemark, um das Kapazitätsloch zu decken. Mit dem jetzigen Exportverbot ist erstmals das eingetreten, wovor ExpertInnen schon vor einiger Zeit gewarnt hatten: Ein durchgängig liberalisierter Strommarkt in Europa könne auf eine Versorgungskrise zusteuern.
Norwegen und Schweden sind ein warnendes Beispiel. Beide haben vor einigen Jahren ihren Strommarkt vollständig liberalisiert. Und beide Länder sind von vorherigen Vollversorgern mittlerweile zu Importländern für Elektrizität geworden, wenn es um die Versorgungsspitzen geht. Es wird haarscharf kalkuliert, und das läßt die Stromversorger lieber in Spitzenzeiten aus dem Ausland zukaufen, als teuer Reservekraftwerke bereitzuhalten. Die Vorsorgerolle der ehemaligen öffentlichen Träger ist weggefallen, und der Markt hat weder Lust noch Verpflichtung, sie zu übernehmen.
Während in Schweden seit Monaten auf juristischer und politischer Ebene darum gestritten wird, ob Regierung und Parlament wirklich das Recht hatten, das Abschalten des AKWs Barsebäck zu verfügen – und in der Zwischenzeit das umstrittene Werk ungehindert weiterläuft –, haben die Stromkonzerne seit der Liberalisierung des Strommarkts 1996 Kraftwerke stillgelegt, die in ihrer Produktion drei Barsebäck-Atomkraftwerken entsprechen. Warum ein Kraftwerk betreiben, das vielleicht nur einige Stunden am Tag oder einige Wochen im Jahr Strom produziert, wenn man diesen billiger aus dem Ausland beziehen kann?
Für die Privathaushalte hat die Liberalisierung bislang so gut wie keine Ersparnis gebracht – und die Stromlieferanten somit auch nichts gekostet. Bei Großabnehmern in der Industrie aber ist tatsächlich der Wettbewerb mit niedrigeren Preisen durchgeschlagen. Die meisten Stromkonzerne mußten Gewinneinbußen zwischen zehn und 20 Prozent hinnehmen. Beim Betreiber des AKW Barsebäck, Sydkraft, bedeutet das zum Beispiel, daß in einem Rahmen zwischen 1,5 und zwei Milliarden Mark „die Produktion effektivisiert“ (Sydkraft-Betriebschef Curt Lindqvist) werden muß. Und am meisten läßt sich sparen, wenn man Kraftwerke einfach stillegt. So bei Sydkraft geschehen mit Teilen eines hochmodernen Ölkondenskraftwerks in Karlshamn, beim Konkurrenten Vattenfall mit einem ähnlichen Werk in Stenungsund. Der Strom fehlt jetzt an kalten Wintertagen.
Noch muß allerdings niemand frieren, solange man in Resteuropa Elektrizität dazukaufen kann. Fragt sich nur, wie lange noch. Denn die Stromproduzenten dort dürften bald ähnlich rechnen, wie Sydkraft, Vattenfall & Co. „Die Politiker wollten eine unbeschränkte Herrschaft der Marktkräfte und sahen nicht, zu welchen Konsequenzen das führt“, sagt Åke Pettersson, Vizechef des Stockholmer Stromlieferanten Birka-Kraft.
Was nämlich allein vom früheren Versorgungsmonopol übriggeblieben ist, ist die Verantwortung der Netzbetreiber für die Leitungen, also dafür, daß der Strom fließen kann. Nicht, daß auch wirklich welcher vorhanden ist. Sture Larsson von Svenska Kraftnät, das die großen Überlandleitungen betreibt und die lokalen Stromverteiler beliefert: „Wir haben nur eine Verantwortung, daß die Leitungen und Transformatorstationen in Ordnung sind. Legen die Stromproduzenten Kraftwerke still, sind wir machtlos. Wir können sie weder zur Produktion, noch zum Import von Strom zwingen.“
„Strom ist zu wichtig für eine Gesellschaft, ihn allein als Handelsware zu betrachten“, warnt Åke Pettersson. Auch wenn Kraftwerke jetzt nur stillgelegt und nicht abgerissen werden, besteht laut Pettersson die Gefahr, daß sie als Reserveteillager mißbraucht werden. Die Konzerne rechnen selbst damit, daß es schon jetzt zwischen einem halben und einem Jahr dauert, ein stillgelegtes Werk wieder anzufahren. Steht ein Kraftwerk länger still, kann es ganz unmöglich werden.
Pettersson spricht natürlich in eigener Sache. Die Stromproduzenten hätten gar nichts dagegen, ihre jetzigen Reservekraftwerke betriebsbereit zu halten – sofern sie dafür bezahlt werden. Zumindest müßte es aus Wettbewerbsgründen gleiche Verantwortung für die Bereithaltung von Reservekapazität für alle geben, angesichts eines übernationalen freien Strommarkts im übrigen natürlich auch europaweit.
In Stockholm beginnt die Politik erst, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Es gibt zwar aus allen Nachbarländern Zahlen über die Entwicklung der dortigen Produktionskapazität. Doch sagt das gar nichts darüber aus, ob man von dort konkret am 6. Februar 2001, wenn in Europa ein Rußlandhoch mit 20 Grand minus zugeschlagen hat, Überschußstrom beziehen kann.
„Wir müssen sehen, daß auch Norwegen keine Überschußenergie mehr hat und man in Finnland und Dänemark Kohlekraftwerke stillegen will“, mahnt Margarete Bergström, die gerade im Auftrag der Stockholmer Regierung erste Fakten zum Thema sammelt. „Irgendwie scheinen sich alle auf die anderen zu verlassen.“ Unterdessen spricht aber einiges dafür, daß sich die Regierungen in Stockholm, Oslo und anderswo bald veranlaßt sehen könnten, einen Teil der Marktliberalisierung rückgängig zu machen.
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