■ Querspalte: Ficken 2000
Neulich auf der Straße belauscht – Dialog zwischen Vater und Kind: „Wenn du kein Junge und kein Mädchen bist, was bist du denn dann?“ „Ich bin... – ein Baby.“ „Und wo kommen die kleinen Babys her?“ „Von zu Hause.“
Daß die kleinen Babys nicht von zu Hause kommen oder vom Klapperstorch gebracht werden, wissen wir durch die aufopferungsvolle Arbeit der Kolle/Uhse-Kräfte längst. Was wir jedoch noch nicht wissen: Wer wird das erste Baby im Jahr 2000? Eine wichtige Frage, die die britischen Fernsehsender BBC und ITV gern in der nächsten Silvesternacht beantworten möchten. Deshalb haben sie sich jetzt die Senderechte in diversen Entbindungsstationen des Landes gesichert. Damit auch alles nach Plan läuft, hat ITV überdies den im Vorfeld notwendigen Geschlechtsverkehr in die Berichterstattung einbezogen und zehn Paare unter Vertrag genommen, die sich verpflichten mußten, exakt am 10. April und ganz im Dienst der Sache zu mauseln, zu pimpern oder – schlicht: zu ficken. Termingerechte Arbeit im Dienst der Volksaufklärung.
Eine Vorspielberichterstattung, auf die die BBC allerdings verzichtete, da Frauenärzte Bedenken äußerten, ob der richtige Zeitpunkt überhaupt getroffen werden könne: Für Frauen, die ihr erstes Kind bekämen, sei nach ihren Berechnungen der 19. März, für Frauen, die ihr zweites Kind auf die Welt bringen wollten, der 26. März der günstigste Termin.
Ob die Beteiligten das termingerecht schaffen? Das Lampenfieber wird groß und das Resultat klein sein. Sollte die gute alte Tante BBC nicht für das entsprechend anregende Begleitprogramm sorgen? Das dann einmündet in die große Samstagabendshow „Ficken für das Jahr 2000“? Live aus dem TV-Lebensborn, mit dem Kameraschwenk durch den Uterus. Und nach geglückter Niederkunft erhält die siegreiche Gebärmaschine 2000 das Goldene Mutterkreuz von der Queen. Der Millenniumwahn wird's schon richten. Michael Ringel
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