■ Warum die Gewerkschaftskritik von Grottian und Fücks falsch ist: Was gegen die Verzichtspolitik spricht
Gut gebrüllt, Löwe. Vielleicht ein bißchen heiser nach all den Jahren? Peter Grottians Kritik auf allen Kanälen im Vorfeld der Verhandlungen gehört inzwischen genauso zum Tarifritual wie die abschließende Nachtsitzung. Inzwischen sind weitere Löwen dazugekommen. Kürzlich feuerte Ralf Fücks in der taz eine Breitseite gegen die Tarifparteien des öffentlichen Dienstes, besonders die Gewerkschaften mit ihren „anachronistischen“ Lohnforderungen, ab. Von einem „Bündnis gegen Arbeit“ war die Rede.
Der Unmut ist verständlich. Daß die Gewerkschaften die Verkürzung der Arbeitszeit, ihr ureigenstes tarifpolitisches Instrument gegen Arbeitslosigkeit, von der aktuellen Tagesordnung abgesetzt haben und ihr beschäftigungspolitischer Anspruch zur Legitimationsformel einer reinen Geldforderung geschrumpft ist (höhere Löhne – mehr Nachfrage – mehr Arbeitsplätze), das ist in der Tat frustrierend, das ist weit entfernt von solidarischer Tarifpolitik.
Die Vorstöße von Peter Grottian und Ralf Fücks taugen jedoch weder in der Sache noch in der Art ihrer Inszenierung dazu, daran etwas zu ändern. Was haben sie erwartet? Daß der ÖTV-Vorsitzende, spontan beeindruckt von den (alle Jahre wieder) aufgetischten Vorschlägen, zu seinem Meeting mit Schily eilt, sich mit dem kurzerhand auf eine neue Tagesordnung verständigt, und zack ist der Kittel geflickt?
Wer solches erwarten würde, wäre nicht von dieser Welt. Man mag eine geringe Meinung von der demokratischen Vitalität der Gewerkschaften haben. Aber auch der/die charismatischste GewerkschaftsführerIn könnte nicht, einer spontanen Eingebung folgend, in die Tarifmaschinerie eingreifen – von Rechtsfragen wie Kündbarkeit und Laufzeit von Tarifverträgen ganz zu schweigen. Der Willensbildungsprozeß, in dem sich eine 1,5-Millionen-Organisation auf eine Forderung verständigt, verläuft nach demokratischen Regeln von unten nach oben und verschafft der Verhandlungsführung jene Legitimität, ohne die sie am Verhandlungstisch auf kollektives Betteln angewiesen wäre. Wie schmal der Handlungskorridor einer Führung ist, hat die Tarifrunde 98 im öffentlichen Dienst gezeigt: Die Gewerkschaftsspitze war mit einer klaren Vorgabe für Arbeitszeitverkürzung mit differenziertem Lohnausgleich in die Tarifdiskussion gegangen, also mit einer Linie eher nach Grottians und Fücks' Geschmack, wurde aber auf Druck großer Teile des Apparats und der Basis zurückgepfiffen. Nur knapp bekam die Führung die Kurve. Die Legitimationssicherung ist, ob einem das gefällt oder nicht, nur auf Basis einer Geldforderung möglich.
Daran ändert auch ein publizistisches Feuerwerk am Vorabend der Tarifrunde nichts. Wer daran etwas ändern will, muß dickere Bretter bohren, der muß sich mit den Ängsten auseinandersetzen, die das Thema Arbeitszeitverkürzung offensichtlich so unpopulär gemacht haben. Der muß die zu zwei Dritteln beschäftigte Erzieherin, die gut 2.000 DM im Monat nach Hause bringt, für den Tausch Geld gegen Zeit gewinnen und ebenso den Busfahrer und Familienvater, bei dem es vielleicht 1.500 DM mehr sind und der stolz darauf ist, daß seine Frau nicht „zuverdienen“ muß.
Konkret geht es um zwei Vorbehalte. Arbeitszeitverkürzung habe nur zur Intensivierung der Arbeit geführt, weil es kaum zu Neueinstellungen gekommen sei. Im Grunde müsse man die gleiche Arbeit für weniger Geld leisten. Und: Bei den schlechten, zuletzt sogar rückläufigen Einkommen im öffentlichen Dienst könne man sich keine weiteren Einbußen leisten. Grottians und Fücks' Ideen sind nicht dazu angetan, diese auf Erfahrungen beruhenden Vorbehalte zu entkräften, im Gegenteil. Um 2,5, 5 bzw. 7,5 Prozent sollen, nach Einkommen gestaffelt, die Löhne bei einer zehnprozentigen Arbeitszeitverkürzung abgesenkt werden. Der eingesparte Lohn soll für Neueinstellungen genutzt werden. Allerdings nicht, wo durch die Verkürzung Arbeit liegenbleibt, sondern auf anderen „dringendsten Bedarfsfeldern“. Fücks' Angebot für die „verkürzten“ Beschäftigten: Arbeitszeitflexibilisierung. Worauf es hinausläuft, ein zehnprozentiges Arbeitsvolumen durch „Flexibilisierung“ aufzufangen, ist in den Betrieben wohlbekannt: Arbeitsverdichtung, Arbeit zu ungünstigen Zeiten, eben all das, was Arbeitszeitverkürzung bisher diskreditiert hat. Werner Sauerborn
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