: Das Problem läßt sich nicht rein medizinisch lösen
■ Der Arzt und Psychologe Jörg Claus über die politische Dimension der Methadon- und Suchtdebatte
taz: Als mit der Substitution begonnen wurde, hieß es, mit Hilfe des Ersatzstoffes sollten Schwerstabhängige in die Abstinenz geführt werden. Doch viele sind bei der Methadonabgabe geblieben.
Jörg Claus: Der Ansatz hat sich zum großen Teil als unrealistisch herausgestellt. Wir beobachten nicht nur, daß viele dauerhaft nicht auf Methadon verzichten können, sondern auch, daß viele massenhaft andere Stoffe konsumieren.
Sind Praxis und Theorie inkompatibel?
Wahr ist jedenfalls, daß die Drogenabhängigen sich in der Mehrheit nicht dem Konzept der baldigen Abstinenz unterworfen haben. Dennoch markierte der Einstieg in die Substitution einen Umbruch: Seither werden Junkies nicht nur juristisch, sondern auch medizinisch betrachtet. Der Schritt war nötig, um den Strafgedanken zurückzudrängen – unter Inkaufnahme, daß das proklamierte Ziel nicht erreicht wird.
Das wußte man damals?
Zum Teil war es den Initiatoren durchaus klar.
... mit der Intention, Methadon später durch Heroin zu ersetzen?
Das geht vielleicht zu weit. Es ging darum, den Kreislauf von Kriminalisierung und Verelendung zu durchbrechen. Andererseits haben die Methadonprogramme durchaus funktioniert; und zwar dort, wo sie intensiv psychosozial begleitet wurden. Als Irrglaube hat sich die Vorstellung erwiesen, das Problem Drogenabhängigkeit ließe sich rein medizinisch lösen.
Kritiker bezeichnen Methadon als Ersatz in mehrfacher Hinsicht ...
Das ist es auch. Es hat den Vorteil, daß man es nicht so oft nehmen muß wie andere Stoffe und daß es nicht gespritzt werden muß. Andererseits haben auch Drogenkonsumenten Bedarf, sich wohl zu fühlen. Unter Methadon haben viele den Eindruck, wie unter einer Käseglocke zu leben. Sie sind nie wirklich wach, nie wirklich müde, kaum noch zu intensiven Gefühlen in der Lage, sexuell nicht mehr ansprechbar. Deswegen haben viele angefangen, wieder zu trinken, zu koksen oder zu spritzen.
Bedeutet die Abgabe von Methadon, daß man den Leuten den Ersatz, nicht aber den Rausch gönnt?
Natürlich hat man bewußt einen Stoff gesucht, der nicht euphorisiert. Darin ist schon so etwas wie eine Mißgunst des nüchternen Teils der Gesellschaft enthalten – und zwar gegenüber denjenigen, die nichts auf die Beine bringen, aber dennoch schöne Empfindungen haben wollen.
Impliziert die Abgabe von Heroin, daß Ärzte sich von der Heilungsidee verabschieden müssen?
Ärzte, die sich an dem Versuch beteiligen, müssen akzeptieren, daß sie primär Leiden lindern. Wenn wir das Heilungskonzept aufrechterhalten, heißt das, daß wir bereit sind, unsere Heilungsabsichten mit Druck durchzusetzen, indem wir vielfach Leuten etwas aufzwingen, was die nicht wollen.
Wer wird für die Heroinabgabe in Frage kommen? Wird allen Abhängigen das gegeben, was sie wollen, oder wird es ausschließlich eine Vergabe an Schwerstkranke geben?
Es wird sicherlich eine sehr strenge medizinische Indikation geben. Wenn man sieht, wie hysterisch in der Diskussion mit Heroin umgegangen wird, kann man sich auch vorstellen, unter welchen Hochsicherheitsbedingungen die Abgabe praktiziert wird. Aber das ist nicht nur gesponnen: Um Vergabestellen baut sich zwangsläufig eine Szene auf, die Dealer anzieht. Insofern arbeiten auch Mitarbeiter mit einem gewissen Risiko.
Bedeutet die Abgabe von Heroin die Abkehr von einer Drogenpolitik, deren oberstes Prinzip Cleansein ist?
Einerseits kann man hoffen, daß der Staat seinen punitiven Zugriff weiter zurücknimmt. Andererseits ist Skepsis angebracht. Bisher hat noch jede Liberalisierung der Drogenhilfe eine Verschärfung gegenüber denen mit sich geführt, die sich nicht in das Hilfesystem integrieren wollten.
Kann man sich Abhängigkeit unter nichtkriminalisierten Bedingungen vorstellen?
Es gibt hier keine Kultur oder Subkultur, in der sich so etwas hätte entwickeln können. Selbst die Linke hat sich mit dem Thema Drogen immer schwergetan. Schließlich geht wertvolle Energie verloren, wenn man sich exzessiven Rauschzuständen hingibt. Das galt immer als konterrevolutionär. Interview: Jeannette Goddar
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