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Drogenhilfe auf dem neuen Kurs

Trotz der bislang eher repressiven Berliner Drogenpolitik haben Hilfsprojekte bereits erste Konzepte zur kontrollierten Heroinabgabe erarbeitet  ■ Von Jeannette Goddar

Wer rund um das Kottbusser Tor wohnt, hat sich an den Anblick längst gewöhnt: Mit dünnen, zittrigen Fingern legen zweimal in der Woche 40 bis 50 Menschen ihre Spritzen und Kanülen auf den Tresen eines Busses. Im Gegenzug erhalten sie saubere Spritzen, Kaffee, Pflaster und können sich in einem anderen Bus gegen Hepatitis impfen lassen. Die meisten, die kommen, sind bis auf die Knochen abgemagert, viele haben kaum noch Zähne, ihre Augen liegen tief in den Höhlen. Begutachtet werden sie hier am Kotti im Zentrum Kreuzbergs nicht nur von den Mitarbeitern des Drogenhilfeprojekts Fixpunkt e.V., sondern auch von diversen Zivilpolizisten sowie einer Fraktion umherschweifender Dealer.

Auf den Zustand ihrer Klientel angesprochen, beten die Mitarbeiter von Fixpunkt e.V. seit Jahren weitgehend ungehört erschütternde Diagnosen herunter sowie Tagesabläufe, die ausschließlich vom Zwang bestimmt sind, 300 Mark pro Tag für die Droge zusammenzubekommen. Doch immer häufiger stehen bei Fixpunkt e.V. auch Leute Schlange, die mit der Ersatzdroge Methadon substituiert werden. „Hier am Kotti bekommt über die Hälfte Methadon“, sagt Fixpunkt-Mitarbeiterin Astrid Leicht, „vielen reicht das nicht. Sie suchen einen zusätzlichen Kick oder wollen einfach auf das Spritzen als solches nicht verzichten.“

Dafür, daß Methadon nicht die Ausstiegsdroge ist, als die man den Stoff eingeführt hat, spricht auch die Bilanz der Drogentoten. Bei über einem Viertel der 139 Toten zwischen Januar und Oktober 1998 wurde Methadon im Blut nachgewiesen. Noch 1997 wurde nur etwa jeder zehnte Drogentote substituiert. Experten warnen seit Jahren davor, daß der Ersatzstoff, überdosiert oder mit anderen Drogen zusammen konsumiert, schnell tödlich wirken kann. Auch sind längst Fälle bekannt, in denen ehemalige Junkies an einer ausschließlich durch eine Überdosis Methadon hervorgerufenen Atemlähmung starben.

„Immer mehr Substituierte nehmen alle möglichen anderen Drogen, auch wenn wir früher etwas anderes gehofft haben“, konstatiert Berlins Drogenbeauftragte Elfriede Koller. Unter anderem deswegen und um vielleicht auch mehr Drogenabhängige als bisher zu erreichen, steht auch Koller einem rot-grünen Modellversuch zur kontrollierten Heroinabgabe inzwischen aufgeschlossen gegenüber. „Wenn es sich dabei um ein wissenschaftliches Erprobungsverfahren handelt, das den Namen verdient, ist es durchaus vorstellbar, daß wir mitmachen“, so Koller. Noch 1997 hatte sie den Spiegel mit einem geharnischten Leserbrief bedacht: „Kein Staat dieser Welt wird in der Lage sein, alle seine Heroinsüchtigen auf Staatskosten einigermaßen zufriedenzustellen“, hieß es da.

Angesichts des Sinneswandels fordern die Bündnisgrünen, die Gespräche über ein Modellprojekt praktisch voranzutreiben. „Das Projekt darf nicht an der Finanzierung scheitern“, so Michael Haberkorn, sozialpolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus. Haberkorn wendet sich auch dagegen, den für den Modellversuch in Frage kommenden Personenkreis endlos einzuschränken. „Wir können nicht wieder so anfangen wie bei der Substitution, als nur Hochschwangere und Todkranke Methadon bekommen haben“, sagt Haberkorn.

An der praktischen Mitarbeit der Berliner Drogenhilfe müßte die Heroinabgabe jedenfalls nicht scheitern. Auch wenn man sich daran gewöhnt hat, mit vielen Vorstößen angesichts der restriktiven Berliner Drogenpolitik auf Granit zu beißen, liegen die ersten Stellungnahmen und groben Konzepte bereits vor. Ein Kreis von Projekten rund um die Drogenberatung BOA (Tiergarten/Prenzlauer Berg) schlägt vor, an drei bis vier Abgabestellen Heroin an etwa dreihundert bis vierhundert Junkies abzugeben, die bisher von der Drogenhilfe kaum erreicht werden – also weder aussteigen noch Methadon bekommen wollen. Gleichzeitig muß eine intensive psychosoziale Betreuung gewährleistet sein. Anstatt eine Zentrale einzurichten, sollten die Stellen in die jeweiligen Kieze möglichst „störungsfrei“ integriert werden, so BOA.

Auch die Berliner Methadonambulanz, die vor zwei Jahren eröffnete, um die Substituierten, die wegen ihrer Aggressivität oder wegen ihres Beikonsums woanders als „nicht wartezimmerfähig“ galten, zu versorgen, arbeitet an einem Konzept. Methadon habe sich durchaus bewährt, so der Arzt Christian Jellinek, aber „mit ganz, ganz vielen Einschränkungen“. Zwar sei es gelungen zu verhindern, „daß manche Leute in ihrem Chaos sterben“, und sie kurz- oder auch mittelfristig zu stabilisieren; andererseits aber gäbe es heute „praktisch keine Junkies mehr, die nicht methadonerfahren sind“.

Für Jellinek kommen für eine Heroinabgabe vor allem drei Gruppen in Betracht: Junkies, die bisher nicht erreicht wurden, Substituierte, die seit Jahren auch Alkohol oder andere Drogen konsumieren sowie psychopharmakaablehnende Psychotiker. In jedem Fall gelte aber auch hier ein besonderes Augenmerk der Betreuung: „Die meisten unserer Klienten sind einfach krank. Heroinabhängigkeit ist selten ein frei gewählter Lebensstil.“ Und: „Je kranker die Leute sind, desto wichtiger wird die Begleitung, desto unwichtiger der Stoff.“

In jedem Fall warnen Experten anders als zu Beginn der Methadonabgabe diesmal schon vorab davor, allzu große Hoffnungen in ein Modellprojekt zu setzen. „Den Leuten Heroin zu geben ist eine weitere Maßnahme“, sagt Astrid Leicht von Fixpunkt e.V., „und es gibt kaum etwas, das dagegen spricht. Aber auch damit werden wir nur einen Teil der Szene erreichen – und andere eben nicht.“ Leicht warnt auch davor, sich jetzt nur noch auf ein neues Mittel zu konzentrieren. „Es wäre auch hilfreich, wenn Junkies nicht ständig Platzverweise bekämen oder gleich in einem Polizeiwagen verschwänden.“

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