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Konstruktives Wohlwollen

Alles wie im Märchen, aber mit großer dunkler Wolke am Horizont: die Galerie 7/8 Barmherzigkeit im Schanzenviertel  ■ Von Britta Peters

Sechs Feuer glühen im Ausstellungsraum, aber sie wärmen nicht. Zu glatt ist die Oberfläche von Marcel Petrys Malerei, als daß man sich da einfühlen könnte. Wie Filmstandbilder tragen die Gemälde eine abgebrochene Erzählung in sich. Durch diese narrative Offenheit gewinnt die Häng-ung der Bilder an Bedeutung: Wenn sich der Junge in einer Aufbruchssituation neben einem großen Lagerfeuer befindet, läßt sich beides miteinander in Verbindung bringen.

Bei Jens Heller ist ein Bild, auf dem ein Huhn zu sehen ist, zunächst schlicht ein Bild von einem Huhn, wären da nicht noch Schrift und Piktogramme, die ein zusätzliches inhaltliches Feld öffnen. Die assoziativen Zusammenhänge, die bei Petry durch die Reihung entstehen, ergeben sich bei Heller durch Kombinationen im Bild, wie z.B. des Wortes „Entwicklung“ mit dem Bild eines Soldaten.

Die Künstler sind befreundet und haben schon oft zusammen ausgestellt. Wenn man sich mit den beiden unterhält, spricht der eine für den anderen – ein sympathischer Zug, verglichen mit den Anstrengungen anderer Leute, sich abzugrenzen und sich hervorzutun. Die Galerie, in der die Ausstellung jetzt zu sehen ist, ist ganz ähnlich strukturiert: Statt Konkurrenz und Dogmatismus herrscht dort in erster Linie Wohlwollen. Das klingt verdammt nach Märchen: Es war einmal ein reicher Arzt. Der liebte die Kunst und hatte ein Herz für arme Schaffende. Drum mietete er einen kleinen Raum, taufte ihn „7/8 Barmherzigkeit“ und ließ fortan Künstler dort ausstellen, denen er nur 1/8 ihrer dürftigen Einnahmen abnahm und nicht 50 Prozent, wie es die bösen Herrscher im Reich zu tun pflegten.

Legenden ranken sich um die Entstehung der kleinen Hamburger Galerie, die André van Sprang, Gefängniszahnarzt, und der Kraftfahrer Olaf Jacobsen 1992 gegründet haben. Fünf Jahre wurde dort munter und alles durcheinander ausgestellt: DM-Bob und 4000 genauso wie die „Neue Anständigkeit“ aus Berlin und verschiedene ausländische Künstler, darunter auch der hervorragende japanische Fluxus-Künstler Tatsumi Orimoto alias Breadman.

Als Olaf Jacobsen 1997 aus dem Projekt ausstieg, sprangen acht Freunde ein. Von ihnen sind heute noch sechs aktiv, plus einem Mr. X als stiller Sponsor. Entscheidungen werden gemeinsam gefällt, entsprechend vielfältig sind die Ausstellungen. Wenn Mitbetreiberin Ragna Jürgensen diesen Zustand mit den Worten „Die Galerie hat mittlerweile keinen Ruf mehr zu verlieren“ charakterisiert, weiß sie, daß sie Unrecht hat. Gerade die Form als lockere Interessengemeinschaft hat das Projekt so lange am Leben gehalten. Um keine Zeit und Nerven mit bürokratischem Kram zu vergeuden, haben die Betreiber keinen Verein gebildet und keine Förderung beantragt. Doch nun ziehen dunkle Wolken auf: Im Zuge der Schanzenviertelsanierung soll das Haus Mitte dieses Jahres abgerissen werden. Die einzige Möglichkeit, die Galerie ein zweites Mal zu retten, wären vergleichbare Räume in vergleichbarer Lage.

Ausstellung bis 17. Februar, Galerie 7/8 Barmherzigkeit, Sternstraße 115

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