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Schneefall im goldenen Käfig

■ Schwierigkeiten in der Fremde: Die Tagung „Berlin – Stadt der Zuflucht“ zeigt, wie unterschiedlich das Leben im Exil empfunden wird

Das Schriftsteller-Exil beginnt meistens da, wo die öffentliche Aufmerksamkeit erlischt. Der Autor ist Haft und Folter ja glücklich entkommen, also kein Thema mehr. Seine Schwierigkeiten, den neuen Alltag zu bestehen, sind nicht besonders spektakulär. Seine Werke sind weniger interessant als sein Schicksal. Im Exil ist er nur als Opfer bekannt, nicht als Autor.

Salman Rushdie beklagte häufig das literarische Desinteresse der Exil-Öffentlichkeit. Heute kann man ähnliches von Faradsch Sarkuhi hören. Er war neben dem Nigerianer Ogaga Ifowodo und dem algerischen Filmemacher und Autor Abderrahmane Bouguermouh am Mittwoch Gast einer Veranstaltung der Heinrich-Böll- Stiftung zum Thema „Berlin – Stadt der Zuflucht“.

Berlin war die erste Stadt, die 1994 dem vom Internationalen Schriftstellerparlament in Straßburg initiierten Netzwerk „Städte der Zuflucht“ beitrat und den Kooperationsvertrag unterschrieb: die Selbstverpflichtung, einem Autor für ein Jahr eine Wohnung zur Verfügung zu stellen und für seinen Unterhalt zu sorgen, vor allem aber auch, seine soziale und kulturelle Integration zu fördern. Das Netzwerk knüpft an die mittelalterliche Tradition freier und liberaler Städte an und hofft, daß von ihnen im Einzelfall mehr zu erwarten ist als von staatlichen Institutionen. Mittlerweile haben sich 24 europäische Städte angeschlossen, von Helsinki bis Sevilla, von Caen bis Wien. Frankfurt am Main ist die zweite deutsche Stadt, die Anfang 1998 beitrat. Dort lebt nun Faradsch Sarkuhi.

Sarkuhi ist derzeit wohl der berühmteste Exilant in Deutschland. Bei seinen öffentlichen Auftritten versäumt er nie, all seinen Helfern zu danken. Er weiß, daß er der massiven Aufmerksamkeit der westlichen Öffentlichkeit sein Leben zu verdanken hat. Doch die Interviews, die er nach seiner Rettung aus iranischen Gefängnissen hierzulande führen mußte, haben ihn „gelangweilt“, sagt er: „Niemand fragte mich nach meiner Kultur, nach dem, was ich geschrieben habe, nach meinem Werk. Aber deshalb war ich doch im Gefängnis.“ Exil, sagt Sarkuhi, „ist für einen Schriftsteller wie Einzelhaft, doch im Unterschied zur Gefängniszelle hat das Exil zwei Fenster. Eines geht in Richtung Kultur des Gastlandes und zum interkulturellen Austausch. Das zweite geht in die Vergangenheit, in die Heimat, die man hinter sich lassen mußte.“ Dieser Blick zurück ist von Sorge bestimmt. Sarkuhi berichtete, daß gerade am Vortag die Literaturzeitschrift verboten wurde, die er gegründet hatte und deren Chefredakteur er elf Jahre lang war. Jetzt beklagt er die schweigende Zurückhaltung der europäischen Regierungen – auch von Rot-Grün in Deutschland. Zumindest Ende 1998, als im Iran mehrere Autoren ermordet wurden, hätte er „offiziellen Protest“ erwartet.

Sarkuhi, der sich als „Mann der Feder“ bezeichnet, hat noch einen sehr hohen, hehren Begriff von Literatur. Was bedeutet schon der eigene Tod gegen das Überleben des Wortes! Man muß vielleicht so pathetisch sein, um Folter zu überstehen. Die Erfahrung der Diktatur lehrt, die Kostbarkeit des freien Wortes zu feiern und Literatur eher weihevoll zu zelebrieren. Da fällt es schwer, sich nun in eine Öffentlichkeit gestellt zu wissen, die in der Vielfalt der Mitteilungen jedes Werk beliebig erscheinen läßt. Die profane Vorstellung, man könnte seine Texte womöglich während des Autofahrens im Radio hören, sie gefällt Sarkuhi jedenfalls nicht.

Ogaga Ifowodo hat da weniger Probleme. Er ist gelernter Rechtsanwalt, Literatur ist für ihn neben politischer Aktion nur eine Möglichkeit der Artikulation. Er ist grundsätzlich gut gelaunt und winkt auch gleich fröhlich ins Publikum. „Wenn ich sage, ich wäre nicht glücklich, schicken Sie mich doch mit dem nächsten Flugzeug nach Hause.“ Haha, war bloß ein Witz. Ogaga Ifowodo ist glücklich in Deutschland. Er hat endlich Zeit, seine Gedichte zu überarbeiten. In einem Prosatext verarbeitet er die eigenen Gefängniserfahrungen. Er hat ein schönes Appartement in Bremen. Man zeigte ihm die Weser (sehr inspirierend!), und außerdem weiß er nun endlich, wie es aussieht, wenn Schneeflocken fallen. Das ist ja toll! Zur Zeit ist er Stipendiat im Stuttgarter Schloß Solitude, da ist es auch wunderschön, was will man mehr? Im Unterschied zu Sarkuhi könnte Ifowodo jederzeit in seine Heimat Nigeria zurück, wo sich die Situation nach dem Tod des Diktators Abacha entspannt hat. Was ansonsten wäre, will er sich nicht ausmalen. Exil, sagt auch Ifowodo, ist „eine Gefangenschaft mit Goldketten“. Er hatte jedoch das Glück, daß sich sein Exil in ein Arbeitsstipendium verwandelt hat.

Ifowodos Fröhlichkeit und Sarkuhis depressive Gestimmtheit beschreiben zwei Extreme des Exilantendaseins. Ihre Lage wird durch andere Faktoren geprägt als die Bemühungen der Gastgeber. Die Städte können Zuflucht bieten und vielleicht, wenn es gut geht, auch ein Publikum – denn das fehlt den Exilanten am meisten. Sarkuhi aber legt strengere Maßstäbe an. Für ihn ist das Netzwerk eine gute Sache, wenn dabei gute literarische Werke entstehen: „Wenn unter zehn einer etwas schafft, dann hat es sich gelohnt.“ Er legt großen Wert auf die Verknüpfung von Humanität mit Produktivität: Das Ziel ist immer die Literatur. Wer will schon bloß Opfer sein? Jörg Magenau

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