: Nach der Weltkonferenz gegen Doping sehen sich die internationalen Sportfunktionäre vielen Angriffen ausgesetzt, insbesondere durch die EU-Sportminister. Denn das Dokument, das die olympischen Plauderer verabschiedet haben, ist so weich wie erwartet. Zwar gibt es Sanktionen, Ausnahmen sind aber ausdrücklich zugelassen Aus Lausanne Matti Lieske
Spritzen – fertig – los!
„Ich wünsche Ihnen allen eine gute Heimreise“, war wohl der inhaltsreichste Satz, den Juan Antonio Samaranch gestern in seiner Abschlußrede bei der Weltkonferenz über Doping in Lausanne äußerte. Dann schlug der 78jährige beherzt mit seinem Hämmerchen aufs Pult und erklärte die Veranstaltung mit einem sichtlich erleichterten Lächeln für beendet.
Übel hatte man dem vom Korruptionsskandal in seiner Organisation gebeutelten Präsidenten des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) an den drei Konferenztagen mitgespielt. Die europäischen Sportminister lasen ihm die Leviten, rüde wurde sein Ansinnen, der geplanten Anti-Doping-Agentur vorzustehen, vom Tisch gefegt, und selbst die überraschende Unterstützungserklärung der Athletenkommission um den Eisschnelläufer Olav Koss für das IOC und seinen Präsidenten war vergiftet. Von einer Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit des IOC war dort die Rede – und um etwas wiederherzustellen, muß es erst mal zerstört sein.
Zu allem Überfluß drohte auch Samaranchs großangelegte Dopingkonferenz mit 580 Teilnehmern aus allen Bereichen des Sports lange Zeit zum Fiasko zu werden. Nur das geballte Talent des IOC, Dinge schönzureden, rettete die Verwalter der fünf Ringe über die Runden, auch wenn es sehr vermessen von Samaranch war, am Ende einen „großartigen Sieg für den Sport“ zu verkünden.
Zwei zentrale Vorhaben hatten bei der Konferenz auf der Tagesordnung gestanden, beide wurden nicht realisiert. Die breit geforderte Mindestsperre von zwei Jahren für Dopingsünder wurde durch eine Ausnahmeregelung massiv verwässert (siehe unten). Und die Gründung einer Anti-Doping- Agentur mußte verschoben werden, weil die geladenen Vertreter verschiedener Regierungen dieses Modell des IOC glatt ablehnten.
Nur dem Geschick des derzeit stärksten Mannes in der IOC- Spitze, dem Kanadier Richard Pound, haben es die Olympier zu verdanken, daß sie einigermaßen heil aus der Sache herauskamen. „Wir sind extrem erfreut über das Interesse der Regierungen an dieser Agentur“, strahlte der IOC-Vizepräsident, „wir dachten, wir müssen es allein machen.“ Er hoffe im übrigen, daß die Regierungen, die nun in den nächsten Monaten gemeinsam mit dem IOC die Agentur auf die Beine stellen wollen, über die finanziellen Verpflichtungen Bescheid wüßten. „Sie können nicht die ganze Bürde auf die Olympische Familie abwälzen“, sagte Pound mit genüßlichem Grinsen. Aus dem IOC-Kauderwelsch in normale Sprache übersetzt, heißt dies: Wir haben gehofft, daß wir die Sache unter unserer Kontrolle durchziehen können, aber nun machen wir es eben zähneknirschend mit euch, sofern ihr ordentlich zahlt.
Den Grundtenor der Konferenz lieferten jedoch die Angriffe auf das IOC. Kaum fühlte sich Samaranch ein wenig sicherer und wagte es, das Köpfchen ein wenig höher zu recken, kam schon die nächste Forderung nach Demokratisierung und Transparenz seiner Organisation, der nächste Zweifel an ihrer moralischen Qualifikation, den Sport zu führen. Vom kanadischen Athletenvertreter Renn Crichlow zum Beispiel, der, anders als die lobhudelnden Sprecher der Athletenkommission, flächendeckenden Zynismus und Skepsis gegenüber dem IOC bei den Sportlern bemerkt hat. Oder vom britischen Sportminister Tony Banks, der im Gegensatz zu seinen Amtskollegen dageblieben war, um den IOC-Chef noch ein bißchen zu piesacken. Erschüttert über die arroganten Beiträge hoher Sportfunktionäre, die unverhohlen gegen die „Einmischung“ der Politiker polemisierten und jede Selbstkritik vermissen ließen, drohte Banks: „Der Verlauf dieser Konferenz hat gezeigt, daß eine wachsende Beteiligung der Regierungen nötig ist, damit wirksame Maßnahmen getroffen werden.“
Die Geister, welche die letztjährige Dopingtour de France aus den europäischen Ministerien gerufen hat, wird Juan Antonio Samaranch nicht mehr los, obwohl das IOC auch hier schon eine Taktik entwickelt hat, um die garstigen Eindringlinge zu bändigen. Geradezu penetrant forderten Samaranch und Pound die verstärkte Einbindung von nichteuropäischen Regierungsvertretern, weil sie hoffen, daß diese weniger widerborstig sind als die Hardliner aus der EU und für einen gemäßigteren Kurs sorgen.
Zunächst einmal steht dem IOC jedoch Mitte März eine weitere Zerreißprobe bevor. Auf einer außerordentlichen Vollversammlung, die aufgrund der Korruptionsfälle bei der Olympiabewerbung von Salt Lake City einberufen wurde, sollen sich die Mitglieder selbst entmachten und auf das Stimmrecht bei der Olympiavergabe verzichten. Hier soll die allenthalben geforderte Demokratisierung auf den Weg gebracht werden – unerläßliche Maßnahmen zur Rettung der Existenz des IOC. Bei einem Treffen am Rande der Konferenz in Lausanne stellten die Olympier jedoch klar, daß sie nicht gewillt sind, dieser Vorgabe des Präsidenten und der Exekutive zu folgen.
„Zum ersten Mal in der Geschichte der Olympischen Bewegung ist die Stimme der Mitglieder sehr, sehr laut“, sagte das italienische IOC-Mitglied Mario Pescante. Logisch, schließlich sind ihre ureigenen Privilegien in Gefahr. Sollte Samaranch nach der gerade noch glimpflich verlaufenen Bruchlandung mit der Dopingkonferenz auch hier scheitern, ist der Scherbenhaufen perfekt und das Scherbengericht unvermeidlich.
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