Riesengroße Simulationsmaschine

■ Aus dem muffigen Übungskeller des Jugendheims in die große, weite Welt des Rock'n'Roll: Der Bandwettbewerb Emergenza im Knaack-Club

Eigentlich gilt die Faustregel: Von Bands, die schon mal irgendwelche Bandwettbewerbe gewonnen haben, kann man nichts erwarten. Haben dort doch obskur zusammengewürfelte Rock-Jurys ungefähr soviel innovatives Musikverständnis wie es der Rezensionsteil eines „Musik und Technik“- Magazins widerspiegelt: Alanah Myles ist schon die Spitze der Avantgarde. Und guten Pop macht eben mehr aus, als bloß die Instrumente zu beherrschen.

Emergenza dagegen will anders sein. Ist es doch ein Bandwettbewerb, bei dem das Publikum per Stimmabgabe durch Handzeichen die Siegerband ermittelt. Allein die schiere Größe der Veranstaltung, die 1989 in Rom das erste Mal an den Start ging, ist bemerkenswert. Dieses Jahr ermitteln zwanzig Großstädte in England, Frankreich, Italien, Deutschland, Spanien, Holland, Irland und Belgien ihre jeweils besten Nachwuchsbands, die sich dann bei einem Finale im Juli messen werden.

Ein langer Weg dorthin, den zu gehen sich allein in Berlin 70 Bands vorgenommen haben. Für 140 DM Startgebühr. Ein Taschengeld für Rock'n'Roll, der irgendwann auch mal Sex und Drugs bringen soll. Eine Vorauswahl gab es nicht, kein nervenaufreibendes Gezerre mit eingesandten Demo-Tapes. Dennoch geben sich die Berliner Veranstalter erstaunt hinsichtlich der „Qualität“ der bisher aufgetretenen Bands. Ein Totalausfall nach der Logik von Bandwettbewerbs- Veranstaltern ist es immer dann, wenn die Bands zu dilettantisch sind. Doch gerade das Nichtkönnen enthält ja einen Spaßfaktor, den aber scheinbar weder die popligste Nachwuchsband noch das kleinste Festival für erstrebenswert halten.

Emergenza funktioniert als riesengroße Simulationsmaschine. Schülerbands Europas! Ihr dürft immer bloß in der unglamourösen Aula eures Gymnasiums spielen? Das muß doch nicht sein! Und so finden die lokalen Vorausscheidungen von Emergenza/Berlin im Knaack-Club statt, die Semifinals im Glashaus und das prunkvolle Finale schließlich im Kesselhaus oder der Columbiahalle. In Clubs also, in denen die Großen dieser Welt auch aufspielen. Die lokalen Gewinnerbands sehen sich irgendwann in Disney World/Paris und dem Londoner Astoria rumrocken. Eine Art Europameisterschaft der Schülerbands. Eine Emergenza-Club-Tour, ebenfalls durch Europa, gibt's außerdem. Aber natürlich bloß für die Besten.

Die zweite Vorausscheidung im Knaack-Club sah dann erst mal nicht nach mit Plattenverträgen winkenden Talentscouts und große Bühne/weite Welt aus. Eher wie das, was Emergenza eigentlich nicht sein will: eine Art Jugendhausspektakel für Übungskeller- Rocker. Hierrsch, Nygard, Kurz & Bündig, Mortal Hope, Out Of Grey und die Tollkirschen waren mit dabei, um sich die Gunst des Publikums zu erspielen. Natürlich waren ein paar Bands schlauer als andere und haben sich ein paar mehr Fans mitgebracht: Das bringt wichtige Stimmen fürs Weiterkommen. So beispielsweise Out Of Grey, die gediegenen Crossover- Grunge runterspulten, was zumindest Freunde und Bekannte gut fanden und den zweiten Platz sicherte. Vier Bands kommen in der Vorrunde weiter, Out Of Grey sind somit im lokalen Halbfinale. Es gab aber auch solche Heinis wie die Tollkirschen, die einen auf Ina- Deter-Feierabendband machten. Statt squashen oder fernsehen spielt man halt in einer Band, nennt sich Berliner Nachtschattengewächs und findet „Die Tollkirschen“ einen originellen Bandnamen. Das gefiel niemand, sieben Stimmen gab's da nur.

Nun weiß man natürlich, daß Pop nicht allein über Livepräsentation funktioniert. Sondern über Hypes, Images und andere nichtauthentische Faktoren, die niemals in ein bloßes halbstündiges Liverocken mit einbezogen werden können. Da stellt man sich schon mal die Frage nach dem Sinn dieser Veranstaltung, zumal für Emergenza dasselbe gilt wie für das letzte „Metrobeat“-Festival: Kein DJ weit und breit, es entsteht der Eindruck, alle wollten Rockstars werden und niemand DJ. (Und das ist ja mittlerweile genau umgekehrt.) Aber letztlich zählt bei Emergenza das Prinzip der „Mini-Playback-Show“: Man will ja bloß so sein wie die Großen, wenigstens einmal.

Ach ja, gewonnen hat übrigens in der zweiten Ausscheidung – Tusch! – Nygard. Mit sage und schreibe 74 zukunftsträchtigen Stimmen. Andreas Hartmann

Letzter Teil der Vorausscheidung am Sonntag, 7.2., ab 19 Uhr im Knaack-Club, Greifswalderstr. 221