: Europa übernimmt jetzt das Kommando
Heute beginnen die Friedensverhandlungen über Kosovo. Die Konfliktparteien bestehen auf ihren Maximalforderungen. Dagegen steht der feste Wille der internationalen Gemeinschaft, eine Lösung zu erreichen ■ Von Erich Rathfelder
Heute nachmittag ist es endlich soweit. Dann werden die Delegationen der Serben und Kosovo-Albaner zum ersten Mal auf Schloß Rambouillet bei Paris zusammentreffen, um den Krieg im Kosovo zu beenden. Dieser Umstand allein ist bereits ein großer Erfolg für das Konglomerat aus internationalen Institutionen – der Kontaktgruppe, der Nato, der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), der UN und der EU – das sich seit dem Krieg in Bosnien-Herzegowina herausgebildet hat. Auch daß Rußland im Rahmen der Kontaktgruppe, der OSZE und des Weltsicherheitsrates sich doch noch entschlossen hat, die westliche Strategie der Kombination von militärischem Druck und Verhandlungen zu unterstützen, ist zweifellos ein positives Signal.
Nach dem Teilrückzug der Amerikaner aus der „europäischen Verantwortung“ hängt das Gelingen der Konferenz von den europäischen Diplomaten ab. Nicht der Geist von US-Unterhändler Richard Holbrooke wird in Rambouillet die Atmosphäre prägen, sondern jener der französischen und britischen Außenminister Hubert Védrine und Robin Cook, die die Verhandlungen leiten werden. Komfortabel ist die Lage der deutschen Delegation, sie steht nicht an vorderster Front, kann daher bei einem Scheitern auch nicht verantwortlich gemacht werden. Sie wird aber bei einem Gelingen auch nicht den Ruhm ernten.
Die Umrisse der Vorlage der Kontaktgruppe sind zwar bekannt, die Details jedoch nicht. Der Vorschlag der internationalen Vermittler wird sein, in einem dreijährigen Prozeß, der durch militärische Präsenz von internationalen Truppen abgesichert wird, eine friedliche Verhandlungslösung zustandezubringen, an derem Ende ein neuer Status des Kosovo stehen wird.
Kein Geheimnis ist, daß die internationale Gemeinschaft einen Autonomiestatus innerhalb eines serbischen Staates der Unabhängigkeit vorzieht. Die politischen Gefangenen sollen freikommen, es soll wieder eine lokale Verwaltung geben, eine neue Polizeitruppe soll aufgebaut werden.
Indem die Vorbereitung von Wahlen und die Bildung eines Parlamentes vorgeschlagen sind, ist sogar der eigentliche Souverän, die Bevölkerung Kosovos, an der Lösung der Krise beteiligt. Das war nicht bei allen Friedensverhandlungen dieses Jahrhunderts so. Würde durchgesetzt, daß nicht nur die Mächte entscheiden, sondern auch die Bevölkerung, wäre dies tatsächlich ein zivilisatorischer Fortschritt.
Aber noch ist es lange nicht soweit. Die Verhandlungsdelegationen der Hauptkontrahenten sind gebildet, die Maximalforderungen ausgesprochen. Kompromißbereitschaft ist von beiden Seiten nicht zu erwarten. Indem die unterschiedlichen politischen Kräfte beider Seiten auf die Fehler ihrer innenpolitischen Gegner hoffen, ist dem Ränkespiel und den Störmanövern in Paris wie im Kosovo selbst Tür und Tor geöffnet.
Auf der serbischen Seite wird der jugoslawische Präsident Slobodan Milošević fehlen. Nicht nur die Befürchtung, er könnte angesichts eines verdeckten Haftbefehls aus Den Haag in Schwierigkeiten kommen, hat ihn von der Reise abgehalten. Das Risiko, unpopuläre Entscheidungen verhandeln zu müssen, überläßt er lieber anderen. Daß mit Vuk Drasković ein schillernder Politiker der Opposition in der Delegation auftaucht, ist immerhin ein Fingerzeig: Drasković hat bei aller nationalistischen Rhetorik seit Jahren eine Verhandlungslösung über den Status des Kosovo angestrebt.
Die Beschlüsse des serbischen Parlamentes lassen der Delegation kaum einen Spielraum. Indem in den Bedingungen apodiktisch die Anwesenheit internationaler Truppen abgelehnt wird und gefordert wird, das Verwaltungssystem beizubehalten, ist eine harte Linie formuliert. Wenn allerdings Informationsminister Milan Komjenić kurz darauf eine Autonomie des Kosovo in Ausicht stellt, hat man von „oben“ reagiert. Die Türen sind geöffnet. Noch vor Wochen verweigerte es die serbische Seite, sich mit Albanern unter internationaler Vermittlung zu treffen oder sich gar mit der UCK an einen Tisch zu setzen.
Für die albanische Seite ist allein schon die Anwesenheit auf der Konferenz ein Erfolg. Die Kosovo- Albaner sind jetzt als gleichberechtigter Partner anerkannt. Dies sei ein Resultat der Strategie des bewaffneten Kampfes, nur wer kämpfe, erhalte Respekt, tönt es aus dem Lager der UCK. Präsident Ibrahim Rugova soll die Verhandlungsführung abgerungen werden. Daß Rugova die Forderung nach Unabhängigkeit nicht stellen würde, ist wohl kaum der Grund dafür. Die UCK will sich als Führerin der kosovo-albanischen Bevölkerung präsentieren. Daß sie nicht durch demokratische Prozeduren dazu legitimiert ist, stört sie nicht, aber die internationale Seite.
Die inneren Kämpfe der Kosovo-Albaner könnten die eigene Verhandlungsposition schwächen. Die Radikalen beider Seiten haben aber die Möglichkeit, mit Provokationen im Kosovo auf den Verhandlungsprozeß Einfluß zu nehmen. Bombenanschläge oder neue Massaker könnten ihn gefährden. Und dennoch: Europas Politiker sind entschlossen, eine Zwischenlösung für den Kosovo durchzupauken. Störmanöver sollten diesen Willen nicht mehr brechen können. Und das unterscheidet die Kosovopolitik von heute von der europäischen Bosnienpolitik von gestern.
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