: Kein Bravo für den Staatschutz
■ Brandanschlag auf die Altonaer Christianskirche: Ein Prozeß voller Ungereimtheiten
Schwere Vorwürfe gegen den Staatsschutz des Hamburger Landeskriminalamtes (LKA) erhebt die Rechtsanwältin Martina Zerling: „Der Staatsschutz hat nicht nur schlampig, sondern einseitig gegen meinen Mandanten ermittelt.“ Zerlings Klient Klaus-Dieter Neelen steht wegen des Brandanschlags auf die Ottenser Christianskriche am 11. Mai 1998 vor dem Altonaer Amtsgericht.
Es war bereits der zweite Anschlag auf die Kirche innerhalb von elf Monaten. Bereits im Juni 1997 hatten Brandstifter die Scheiben des Nordportals mit einem Grabstein eingeschlagen und einen Brandsatz gelegt, der aber nur geringen Sachschaden anrichtete. Damals hinterließen die Täter ihre Visitenkarte in Form von Hakenkreuzen, SS-Runen und Teufelssymbolen. Am 11. Mai 1998 gingen die Zündler am Südportal nach demselben Schema vor. Dieses Mal zerdepperten sie die Scheibe mit einer Gehwegplatte, vergossen Benzin und zündeten es mit einer Bravo an. Das Feuer verpuffte jedoch.
Obwohl die Parallelen offensichtlich waren, ermittelte der Staatsschutz nur gegen Neelen, der zu dem Zeitpunkt Freigänger im Gefängnis Neuengammme war. Ein Mitgefangener hatte ihn bezichtigt, bereits frühmorgens in der Anstaltswerkstatt geprahlt zu haben: „Die Kirche in Altona brennt wieder.“ Nach Aussagen des Werkstattleiters war Neelen aber an jenem Morgen gar nicht in der Werkstatt, sondern in einen anderen Trakt zum Malen abkommandiert.
Dennoch hielten die Ermittler an einem dürftigen Motiv fest. Pastorin Susanne Zingel von der Christians-Kirche hatte den Häftling auf Freigängen öfter im Gemeindehaus übernachten lassen, was Neelen offenkundig mißverstand. Er wurde zudringlich. Als die Pastorin ihn deshalb vor die Tür setzte, rächte er sich mit Belästigungen und Telefonterror. Dennoch glaubt Martina Zerling an die Unschuld ihres Mandanten: „Sein Haß richtet sich gegen die Pastorin, nicht gegen die Institution Kirche.“
Völlig unklar ist zudem, wie der Häftling zwischen Mitternacht und 6 Uhr morgens – zu diesen Zeitpunkten wurde er im Knast gesehen – zwischen Neuengamme und Hamburg hin- und hergependelt sein soll. Alle befragten Taxifahrer erinnerten sich nicht an eine solche Tour. Das Naheliegendste – die Nachtbusfahrer zu vernehmen – hat der Staatschutz unterlassen. Auch, daß Neelens Kleidung keinerlei Spuren der Gehwegplatte oder von Benzin aufwies, machte die Fahnder nicht stutzig. Für sie war der Fall so klar, daß sie sogar auf ein Brandgutachten verzichteten.
Das soll nun nachgeholt werden. Denn nach Aussage von Pastorin Zingel qualmte das Brandnest bei seiner Entdeckung um 9.10 Uhr noch. Doch dann müßte die halb verbrannte Bravo mindestens vier Stunden lang gekokelt haben.
Im Juni 1998 verübten Unbekannte einen dritten Brandanschlag auf die Christianskirche. Sie hinterließen ihre Unterschrift: „Satan Gestapo“. Kai von Appen
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