: Selters statt Sekt und grüne Ahnungen
■ Mögliche Wahlniederlage in Hessen lähmte die Regierungsfraktionen SPD und Grüne
Wiesbaden (taz) – Draußen vorm Wiesbadener Landtag schneite es gestern abend sieben Uhr auf erste Demonstranten. Drinnen im Saal 510 hatte eine Stunde zuvor bei der SPD-Fraktion lähmende Stille geherrscht. Selters statt Sekt. Als erster ging SPD-Fraktionsvorsitzender Armin Clauss in die Öffentlichkeit. Mit bitterer Miene konstatierte er die sich abzeichnende Niederlage und das „Verfehlen“ des Wahlziels. Sein grüner Kollege Alexander Müller war wenig gesprächiger. Er sah den Verlust seiner Partei um ein Drittel der Stimmen in einer ersten Stellungnahme vor allem darin, daß es nicht gelungen sei, der Unterschriftenkampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft eine eigene Moblilisierung entgegenzusetzen.
Im Landtag hatte schon Stunden zuvor so drangvolle Enge geherrscht wie noch nie bei einer hessischen Landtagswahl. Bis in den letzten Winkel quetschten sich Fernseh- und Hörfunkstudios, stolperten Medienmacher in Erwartung eines bundesweiten Trendergebnisses über notdürftig verdeckte Kabel. Der Plenarsaal wurde zur Rumpelkammer.
Am Mittag war die Wahl nur schleppend in Gang gekommen. Die Statistiker verzeichneten insgesamt eine geringere Wahlbeteiligung als 1995. Nur im schwarzen Wahlkreis Fulda, in Wiesbaden und dem ehemaligen Atomstandort waren die Wahllokale überdurchschnittlich gut besucht. Am Nachmittag setzte sich der Trend fort. Bei landesweit wechselhaftem Wetter sank die Wahlbeteiligung stetig.
25 Minuten nachdem das für die Grünen katastrophale Ergebnis bekanntgeworden war, beschrieb Fraktionsvorsitzender Alexander Müller seine persönlichen unbehaglichen Vorahnungen: „Ich habe es gestern am Stand schon gespürt“, denn: „Unsere eigenen Leute wollten uns einen Denkzettel verpassen. Die waren sich zu sicher, daß es die SPD packt.“ Er sah die Fehler seiner Partei als in Hessen hausgemacht und nicht nur vom Bonner Regierungsgezerre beeinflußt. Hessens Grüne hätten in den letzten Jahren genug eigene Skandale und zwei Ministerinnen- Rücktritte produziert.
Die hessische Umweltministerin und Spitzenkandidatin der Grünen, Priska Hinz, hatte den Eindruck, daß sich ihre Partei in Hessen selbst oft im Weg gestanden hätte. Hinz kritisierte die Unterschriftenkampagne der CDU gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als „unmoralisch“. Leider sei die Unionsaktion offenbar erfolgreich gewesen. Der hessische Justizminister Rupert von Plottnitz sagte, die Partei habe offensichtlich die Zeche dafür zu zahlen, daß sie sich in den vergangenen vier Jahren mehr mit sich selbst als mit dem politischen Gegner beschäftigt habe.
Heide Platen
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