: Jesus sucht Nachmieter
Kirchengemeinde Lokstedt muß aus Geldmangel die St. Petri-Kirche aufgeben – Nostalgie hin, Erinnerungen her ■ Von Gernot Knödler
Ein Haufen Blumenkinder fällt in eine Kirche ein und feiert, was biedere BürgerInnen für Sex- und Drogen-Orgien halten. Diese Vision aus dem Film „Alices Restaurant“ wird für die evangelische Petrus-Kirche in Lokstedt zwar kaum Wirklichkeit werden. Fest steht jedoch, daß das Gotteshaus demnächst nicht nur Betenden offen stehen wird. Der Gemeinde-Vorstand hat beschlossen, die Kirche zu vermieten. Ein Einnahme-Rückgang von 20 Prozent in den vergangenen sieben Jahren macht diesen Schritt notwendig. „Wir müssen feststellen, daß wir uns den Luxus von zwei Kirchen und drei Gemeindezentren nicht leisten können“, sagt Kurt Freydag, der zweite Vorsitzende der Kirchengemeinde.
Aufgrund der Verluste an Mitgliedern und Einnahmen hatten die beiden Lokstedter Gemeinden der Christ-König- und der Petrus-Kirche bereits im vergangenen Jahr fusioniert. Die Unterhaltung der am Rand des Gemeindegebietes gelegenen Petrus-Kirche samt Gemeindezentrum überfordert aber selbst die große Gemeinde mit ihren rund achteinhalbtausend Mitgliedern.
Was also tun mit dem Gotteshaus, das den Namen desjenigen trägt, auf den Christus seine Kirche bauen wollte? Als Fitneß-Studio käme der Beton-Bau von 1968 wohl nicht in Frage, als abgefahrene Location für Dark-Wave-Parties schon eher, oder gar als Proberaum für gregorianische Gesänge. Mit allen weltlichen Lösungen tut sich die Gemeinde jedoch schwer.
„Die Emotionen, die mit der Aufgabe der Kirche verbunden sind, wären noch größer, wenn sie das Gefühl hätte, da wird nicht mehr Christus gepredigt“, sagt Kirchenvorstand Freydag. Die Leute aus der Nachbarschaft entsännen sich plötzlich der Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen, die sie in dem Gebäude gefeiert hätten, erläutert Pastor Hinrich Westphal vom Hamburger Sprengel der nordelbischen Kirche – liebe Erinnerungen, die viele entwertet sehen, wenn ein Gotteshaus zur profanen Diskothek umgewidmet wird.
Der Lokstedter Kirchenvorstand will deshalb versuchen, das Gebäude an eine andere christliche Gemeinschaft zu vermieten. Dafür kämen Gemeinden von Einwanderern aus Rußland, Korea oder Serbien in Frage. „Die suchen teilweise Räume“, weiß Freydag. Zwar wären sie wohl kaum in der Lage, die Petrus-Kirche zu kaufen, daß sie mit ihrer Miete die Unterhaltung des Gebäudes bezahlen können, hält er aber für realistisch.
Mitglied der evangelischen oder katholischen Kirche sind laut Westphal heute noch 40 und 10 Prozent aller HamburgerInnen. Jährlich geht etwa ein Prozentpunkt verloren. Trotzdem sieht Westphal Grund zur Hoffnung, denn die Zahl der Austritte geht seit Mitte der 90er Jahre zurück: Verließen 1994 fast 20.000 Mitglieder den Sprengel der protestantischen Bischöfin Maria Jepsen, waren es im Jahr darauf nur noch gut 15.000 und 1997 bloß 11.000. Da die Zahl der Eintritte konstant 3.800 beträgt, hält der Aderlaß allerdings an.
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