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Guerillakrieg am Computer

Trend zu Scratching und Sampling, zu clubtauglichen Visuals und Stimmungsbildern: Das Berlinale-Videofest transmediale zeigt, daß die Zukunft des Videos in der digitalen Dienstleistungsgesellschaft liegt  ■ Von Harald Fricke

Jedes Festival braucht Symbole. Auf dem Plakat der transmediale sieht man eine Tastatur, die formschön zur Handgranate umgearbeitet wurde. Der Guerillakrieg findet am Computer statt. Ein bißchen schwingt in solchen Zeichen noch der Medienaktivismus der Eighties mit, aus dem heraus das Videofest vor elf Jahren gestartet wurde. Das Image paßt gut zum Hacker-Revival à la „23“. Während aber 1988 das Festival noch als Gegenveranstaltung zur Berlinale gestartet war, grüßt mittlerweile Berlins Kultursenator Peter Radunski aus dem Katalog und wünscht allen Beteiligten mehr Wettbewerbsfähigkeit für die Stadt.

Doch auch Micky Kwella und Susanne Jaschko, die das Festival im Podewil leiten, wissen, daß für neue Medien bloß die Unterhaltungsindustrie „als spannendes Experimentierfeld von Kunst, Design und moderner Technik“ übrig geblieben ist. Entsprechend sehen eine Reihe Videobeiträge eher nach digitaler Dienstleistung aus: Christian Boustanis „A Viagem“ über die Ankunft des ersten portugiesischen Schiffes in Japan wurde im Auftrag der Expo 1998 in Lissabon produziert. So museumspädagogisch die Geschichte auch angelegt sein mag, die Effekte und Animationen, in denen plötzlich Handelsleute über eine Landkarte stolzieren, sind erstaunlich.

Vielleicht liegt es gerade an den Möglichkeiten von Industrie und Infotainment, daß dieses Jahr ausschließlich neue Produktionen für die transmediale ausgewählt wurden. So könnte das Festival von Videos als Schnittstelle zwischen Experimentalclip und Promomaterial profitieren. Während früher aus Mangel an aktuellen Beiträgen (und Geldern) noch Filme vom Fernsehen ausgeliehen werden mußten, gibt es dieses Jahr immerhin 100 Arbeiten aus 25 Ländern. Dabei geht der Trend scheinbar sogar in Mexiko von Chiapas-Dokumentationen zu katholischer Mystik – in „No Dogs Bark“ ringeln sich Schlangen um Sandalen, während die Sonne dem Wanderer aufs Hirn brennt. Der brasilianische Beitrag von Bernado M. C. Dutra zeigt dann, wie Gott mit allerhand Tricks am PC die Erde geschaffen hat.

Technische Finessen findet man vor allem im Bereich der digitalen Nachbearbeitung. Offenbar hat sich im Video wie in der Musik das Scratching und Sampling durchgesetzt: In Kentaro Takis „The Stolen Air“ überlagern sich zwölf aus dem TV-Programm zusammengezappte Frames als eine Art Bild gewordene Weltmusik; François Vogels „Rue Francis“ ist eine unentwegte Spielerei mit dem Zoom, wobei in Bruchteilen von Sekunden aus dem Küchenfenster quer durch die Straße und zurück auf den Frühstückstisch gefilmt wird. Dagegen dürfte „Fever“, eine nicht ganz jugendfreie Masturbationssequenz von Safi (bürgerlich: Assaf Etiel), nach dem Festival höchstens in Nachtbars gezeigt werden. Wer schaut im öffentlich- rechtlichen Fernsehen schon gerne jungen Männern zu, wie sie Hand an sich legen?

Überhaupt verwandelt sich der Bereich Video immer mehr zu einer irgendwie clubtauglichen Form von Visuals und Stimmungsbildern. Die Kanadier Yan Breuleux und Alain Thibault haben ihr Zeichenprogramm gleich mit der Stereoanlage verschaltet: 15 Minuten lang zeigt ihr „A-B-C Light“ Frequenzen in Staubformat oder grafische Muster, zu denen der Beat schlägt. Die britische Produktion „Dust“ wiederum, für die Anthony Atanasio eine Schwimmerin durch mondartige Wüsten kraulen läßt, könnte ebensogut als Werbeclip für Uhren, Greenpeace oder adidas herhalten.

Andererseits hat der Datenterror, auf den das Poster so sehr schwört, zumindest noch im Internet Zukunft: Die US-Gruppe rtmark sucht sich tatsächlich per Netz Geldgeber und Sympathisanten, um subversive Aktionen durchführen zu können (siehe taz vom 18.1.). rtmark sind Teil des neu eingerichteten Wettbewerbs für Internetprojekte, die neben einer zweiten Sektion für CD-Roms auf der transmediale vorgestellt werden. Insgesamt präsentieren zwölf KünstlerInnen ihre Websites, von Susanne Hertrichs McLuhan-Dokumentation bis zu Mark Napiers „Shredder 1.0“-Page, die vollständig durch den virtuellen Reißwolf gejagt worden ist. Bei den CD-Roms kann man sich durch den Alltag von Hausfrauen klicken („Windows Ninety Eight“) oder in Florian Thalhofers Fotostory „Kleine Welt“ zuschauen, wie ein Ausbildungslager für Polizisten der Landbevölkerung Ärger einbringt.

Das alles ist viel Programm für eine Woche, in der neben all den Filmen und Projekten täglich auch noch an die vier Stunden Theorie zur visuellen Kommunikation durchgearbeitet werden sollen.

Unter anderem wird taz-Autor Tilman Baumgärtel mit den KuratorInnen Peter Weibel, Barbara London und Benjamin Weill über Net.Art diskutieren, Henry Steinhau neue Interaktionsmöglichkeiten mit dem Computer vorstellen und Rudolf Frieling eine Einführung in die Medienarbeiten von Jochen Gerz geben. Daß Video angesichts der Übermacht von Multimedia immer noch nicht tot ist, kann man jedoch am besten bei Jon Alpert studieren. Der Hardcore-Dokumentarfilmer aus New York hat diesmal „Life of Crime 2“ eingereicht. Zehn Jahre hat er den Werdegang von zwei Kleinkriminellen beobachtet – Knast und Drogenentzug inklusive. Was als schmuddelige Reportage begann, ist jetzt zu einer total kaputten Junkie-Saga ausgewachsen, bei der die Kinder zusehen, wie sich ihre Mutter zu Hause einen Schuß setzt.

Daß sie dabei herumfeixen und Faxen machen, liegt nicht nur am Reiz der laufenden Kamera. Jon Alpert kennt seinen Kiez in Newark, New Jersey. Im Internet hat man solche Begegnungen trotz Homerecording und privaten Webseiten selten.

Vom 12.2. bis 21.2. täglich von 12 bis 24 Uhr im Podewil, Klosterstr. 68–70. Infos unter www.transmediale.de

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