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Lummer will die Welt verstehen

■ Der ehemalige Innensenator Heinrich Lummer, bekannt als der Mann fürs Grobe, sitzt jeden Dienstag an der Freien Universität in einem Kunstgeschichteseminar und lauscht ganz artig einem linken Professor

Es ist 12 Uhr. Das Seminar müßte jetzt eigentlich anfangen. Doch die Studenten lassen sich Zeit. Auch der wohl illusterste Student, den die Freie Universität derzeit aufzubieten hat und der eigentlich auf preußische Tugenden schwört, nähert sich erst 12.02 Uhr dem Kunsthistorischen Institut. Heinrich Lummer, der ehemalige räumungswütige CDU-Innensenator, der sich als der „Mann fürs Grobe“ einen Namen gemacht hat, scheint sich an das akademische Viertel gewöhnt zu haben. Gemächlich schlendert er in Richtung Eingang. Immer wieder bleibt er kurz stehen und schaut sich um. Hat er Angst, daß Langzeitstudenten mit Langzeitgedächtnis ihn erkennen könnten? Außer einem Expreßwagen der Post, der die Straße vor dem Institut zuparkt, ist nichts Verdächtiges zu sehen.

In grüner Wildlederjacke, grüner Hose, Cowboystiefeln und einer schwarzen Mappe unterm Arm mischt sich Lummer unter die Studenten. Den Spruch am Treppenaufgang „Macht verrückt, was euch verrückt macht“ übersieht er. Gezielt begibt er sich zum Raum A 127 im ersten Stock, zur Einführungsveranstaltung in Kunstgeschichte. Als Lummer im November 1997 das Rentenalter erreichte, hatte er angekündigt, statt erneut für den Bundestag zu kandidieren wieder unter die Studenten zu gehen. Lummer hat Wort gehalten. Seit Oktober vergangenen Jahres verbringt er jeden Dienstag vier Stunden an der FU, wo er einst selbst Politische Wissenschaft studiert hat.

Nicht rechts außen, dafür aber am äußersten Ende des langen Tisches in der ersten Reihe nimmt er Platz. Neben ihm eine ehemalige Tierärztin, die wie er zu den wenigen Altsemestern in der Einführungsvorlesung gehört. Um ihn herum sitzen etwa 50 Erstsemestler, die mit dem Namen Lummer recht wenig anzufangen wissen. André gehört zu den wenigen, die ihn kennen. „Das ist doch der, den sie nicht nach Israel reingelassen haben“, flüstert er den beiden Studentinnen zu, die neben ihm sitzen. Gemeint ist die letzte schlagzeilenträchtige Aktion von Lummer, als er am 60. Jahrestag der Reichspogromnacht mit einer Reisegruppe des ultrarechten Hamburger Vereins „Die Deutschen Konservativen“ Israel besuchen wollte. „Der ist rechts außen, ganz rechts außen“, erzählt André weiter. Doch die Studentinnen neben ihm interessieren sich mehr für Kunst als für Politik. „Der wird hier einfach so hingenommen“, sagt Nadine. „Das letzte Mal hat er was gesagt“, erzählt sie leidenschaftslos, „doch das war falsch.“

Um 12.21 Uhr werden die Gardinen zugezogen, um Dias von Putten mit einem Flügel an der rechten Hand und einem großen Stein an der linken an die Wand zu werfen. Jetzt zählt nur noch die Kunst. Aufmerksam hört Lummer zu, was Werner Busch über Allegorien, Epigramme und Neoplatonismus erzählt. Nur die Äußerungen des bekennenden linken Profs über die 68er Zeiten, als er sich „bei viel Zigaretten und Alkohol“ mit Hermeneuten stritt, findet er im Gegensatz zu den Studenten nicht lustig.

Busch übt sich in dezenter Zurückhaltung über seinen illustren Gasthörer. „Soll er doch seinem Vergnügen nachgehen, ich habe meine eigene Vergangenheit“, sagt der 55jährige. „Der Redner ist gut“, lobt Lummer dagegen bei einem Gespräch nach dem Seminar in der Cafeteria den linken Prof. Viel mehr stören ihn die defekten Uhren an der Uni („Da müßte sich schon was ändern“) und daß man ihn immer wieder in die rechte Schublade steckt. Den Vorwurf, daß er sich diesen Platz immer wieder selber sucht, indem er Kommentare für rechte Blätter wie die Junge Freiheit oder das Ostpreußenblatt schreibt, kontert er mit den Worten: „Die taz hat mich ja nicht gefragt.“ Auch die Antwort auf die Frage, warum er mit 66 Jahren an die Uni geht, kommt prompt: „Kunstgeschichte hilft, die Welt zu verstehen.“

Als er später zu seinem Wagen geht, versteht er sie nicht. Doch sein Mißtrauen gegenüber dem Postauto stellt sich als berechtigt heraus. Weil dadurch die Straße zugeparkt war und er die Einbahnstraße nicht zurückfahren konnte, bekam Lummer, der nach einer 1,9-Promille-Fahrt vor zwei Jahren erst kürzlich den Führerschein zurückbekam, einen Strafzettel. Barbara Bollwahn de Paez Casanova

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