: Bunte Moralkeulen
Poster für Offspring und Marilyn Manson. Der Plakatkünstler Emek bebildert vor allem Musik, die gut losgeht ■ Von Susanne Messmer
Auf einem vollgepfropften Poster für ein Konzert von Prodigy im Juni 1998 sieht man einen japanischen Schwertkämpfer mit sechs Armen. Er trägt die englische Flagge als Kutte, und auf der Gürtelschnalle prangt das Anarchiezeichen. Er tanzt auf einer kreisförmigen Keyboard-Tastatur, die von einem brennenden Hochofen betrieben wird. Hinter ihm befinden sich bläulich verschattete Schaltkreise eines Computerchips, in die sich allerlei Insekten verirrt haben.
Die Gesichtszüge des Kämpfers erinnern an die eines jungen japanischen Fischers aus einem schön illustrierten, aber sehr gruseligen Märchenbuch, an das sich wohl nur wenige erinnern. Der Fischer wird in diesem Buch auf den Meeresgrund entführt. Als er nach scheinbar kurzer Zeit von einer Schildkröte zurück an Land gebracht wird, sind dort viele Jahre vergangen. Vielleicht hat auch der US- amerikanische Plakatkünstler Emek, der zur Zeit in der Galerie Grober Unfug ausstellt, als Kind dieses Buch gelesen. Vielleicht haben alle Künstlerkinder, die, so berichtet Emek im Internet, bei ihren 68er Eltern zu Kreativität und Völkerverständigung angehalten waren, dieses Buch lesen müssen.
Wie der Fischer ins Meer, so taucht Emek in seine Ideen, in die Vergangenheit, geht in seiner Arbeit unter, in der nächtlichen Welt der Deadlines, verschanzt sich mit seinen komplizierten, teilweise sechsfarbigen Handsiebdrucken in Miniauflage und vergißt darüber die Zeit. Heraus kommen lauter Liebeserklärungen an die verschnörkelte Ästhetik der psychedelic years, an die kunterbunten Poster von Jefferson Airplane und Tyrannosaurus Rex, an die krautigen Plattencover von Amon Düül und die Parallelwelt der Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band.
Und um nicht beim Auftauchen mit dem Tod dieser Vergangenheiten konfrontiert zu werden, mischt Emek etwas Gegenwart dazu, Futurismus, Großstadt, Technik. Manche Plakate erinnern mit ihrem Schmuck an die Verzierungskunst des Jugendstils, manche zitieren wie die russische Soz-Art Politik und Zeitgeschehen.
Da schwingt auch schon mal eine Moralkeule mit: Ein Poster für die Berliner Atari Teenage Riot, EC8OR und Shizuo zeigt einen violetten Zehnjährigen, der ein MG der Marke „All Age Fury“ im Arm hält. Ein zweites für Ministry stellt einen Menschen dar, der mit einer Gasmaske verschmolzen ist. In seinen Brillengläsern spiegelt sich ein Atompilz. Obwohl Emek auch Poster für B.B. King und Bob Marley entworfen hat, sind es vor allem die Bands, die irgendwie „gut losgehen“, für die er gern zu arbeiten scheint und deren Vibe er gekonnt einfängt. Ob Poster für Offspring, Pearl Jam, Marilyn Manson oder Henry Rollins: Sie alle folgen dem Emekschen Motto „AAARGHT“.
Sie sind Kunst, die der unerschütterliche Glaube an Action, Schmerz und an die Gefährlichkeit der Musik zusammenhält. Nur ein einziges Mal zeigt ein Poster auch Humor: das für die Sex Pistols von 1996. Hinter dem Barcode versteckt sich übrigens der berühmte Kopf des Homunkulus aus Edvard Munchs Gemälde „Der Schrei“.
„Go Emek Go“, Vernissage mit anwesendem Künstler am 12.2., Galerie Grober Unfug, Zossener Straße 32
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