: Die Schweden und die Sexfürsorge
Ein im Mai 1998 verabschiedetes, seit 1. Januar 1999 geltendes Gesetz verbietet in Schweden den Kauf sexueller Dienste. Bereits der Versuch ist strafbar. Nicht strafbar ist aber die Prostitution selbst, also das Anbieten solcher Dienste.
Der Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis zu einem halben Jahr Haft. Man schätzt, daß die Straßenprostitution ein Drittel der Prostitution in Schweden ausmachte. Rund 800 bis 900 Frauen prostituierten sich 1998 regelmäßig auf dem Straßenstrich
in Stockholm, Göteborg und Malmö.
Seit Beginn der neunziger Jahre gab es in Schweden eine Debatte um eine mögliche Kriminalisierung der Prostitution, die vor allem vom sozialdemokratischen Frauenverband ausging. 1995 wurde von einer Kommission ein erster Vorschlag vorgelegt, der die Kriminalisierung sowohl der Prostituierten als auch der Freier vorschlug. Dieser Gesetzentwurf fand keine parlamentarische Mehrheit.
1997 machte der sozialdemokratische Frauenverband einen neuen Anlauf und erreichte eine Parteitagsmehrheit; die Arbeiterpartei verpflichtete sich, auf ein Gesetz hinzuarbeiten, das nur den Kunden, nicht aber die Prostituierte kriminalisiert. Tragender Gedanke des Gesetzes: etwas gegen Frauenausbeutung zu tun.
Nach kontroverser Debatte, in der selbst die sozialdemokratische Justizministerin ein solches Gesetz als unpraktikabel ablehnte, wurde es von einer Reichstagsmehrheit im Mai 1998 verabschiedet; innerhalb eines Gesetzespakets Gewalt gegen Frauen, das auch spezielle Hilfen für ehemalige Prostituierte ankündigte.
Betroffen ist nur weibliche, nicht aber männliche Prostitution. Die Prostituierte gilt trotz faktischer „Mitwirkung“ strafprozessual weder als Mittäterin noch als „Anstifterin“. Sie kommt lediglich als Zeugin in Frage.
Die Neuregelung ist Ausdruck der schwedischen Fürsorgementalität: Wie bei Alkohol oder Drogen – die schwedischen Grünen plädieren im EU-Parlament stets gegen eine Haschisch-Liberalisierung – glaubt man auch hier, die Welt verbessern zu müssen.
Auch die vor dreißig Jahren in Resteuropa als revolutionär geltende Sexualerziehung in den Schulen ist Ausdruck dieser als normal empfundenen staatlichen Bevormundung. Rücksicht auf den Willen der Betroffenen zu nehmen entspricht nicht der schwedischen Tradition. In Holland hingegen wird Prostitution ab 2000 steuerlich und behördlich als normaler Dienstleistungsberuf anerkannt.
Reinhard Wolff
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