Weiße Recken, zutrauliche Neger

Die Kolonialzeit hat in Hamburg Spuren hinterlassen. Elf Autoren haben sich auf die Suche begeben und ihre Funde in dem Buch „Branntwein, Bibeln und Bananen“ zusammengestellt  ■ Von Heinz-Günther Hollein

Der Anblick macht leicht frösteln. In kurzen Hosen und Der Anblick macht leicht frösteln. In kurzen Hosen und mit entschlossen hochgekrempelten Ärmeln steht der weiße Recke in der Wintersonne. Sein steinerner Blick ist in die Ferne gerichtet, wohin ihm der Arm des schwarzen Soldaten zu seiner Rechten den Weg weist. Ein erschöpft zusammengesunkener schwarzer Träger vervollständigt die trutzige Trias vor dem Komposthaufen des Hotels Waldesruh inmitten des Sachsenwaldes. Selbst die Nazis fanden dieses „Deutsch-Ostafrika-Gedächtnismal“ zu scheußlich, um es – wie bei der Auftragsvergabe geplant – in Potsdam der Öffentlichkeit zuzumuten. Statt dessen ragt es seit 1955 diskret durch das Blattwerk des fürstlich-bismarckschen Privatbesitzes in Aumühle.

Unter der Kapitel-Überschrift „Braune Tropenfrüchte“ können Interessierte dieser und ähnlich politisch fragwürdigen Hinterlassenschaften der Rolle Hamburgs in der Kolonialgeschichte auf die Spur kommen, wenn sie zu Branntwein, Bibeln und Bananen greifen. Herausgeber Heiko Möhle und seinen zehn MitautorInnen ist das Kunststück gelungen, für 24,80 Mark ein optisch wie inhaltlich attraktives Buch über ein in der Tat dunkles Kapitel der Hamburger Geschichte vorzulegen.

Da ist von der „hamburgischen Thatkraft“ zu lesen, die von der Zeitschrift Börsenhalle 1897 „mit hoher Genugthuung“ konstatiert wird. Jener hanseatische Tatendrang hatte Ende des 19. Jahrhunderts nicht unerheblich dazu beigetragen, dem Deutschen Reich einen „Platz an der Sonne“ zu verschaffen. Wann immer sich Reichskanzler Otto von Bismarck – der kolonialen Verwicklungen eher skeptisch gegenüberstand – auf ein paar ruhige Tage in seinem Schloß Friedrichsruh freute, erschien nämlich alsbald ein Hamburger, der wie kein anderer die Verquickung hanseatischen Gewinnstrebens mit expansionistischer Politik verkörperte: Adolph Woermann (1847-1910) besaß in Afrika Minen, Eisenbahngesellschaften, Großplantagen, dazu noch eine Reederei und Anteile an ein paar Banken. Gleichzeitig war er Präses der Hamburger Handelskammer, Bürgerschafts- und Reichtstagsabgeordneter und Vorsitzender der Deutschen Kolonialgesellschaft. 1884 hatte Woermann den Alten im Sachsenwald endlich müde geredet. Das Deutsche Reich übernahm „Schutz“ und „Verwaltung“ der Handelsniederlassungen und ihres afrikanischen Hinterlandes.

Hamburgs Kaufleute hätten mit dem Einstreichen der Gewinne und dem Weiterreichen der Kosten an den Staat zufrieden sein können, wäre da nicht noch „der Neger“ gewesen, der – teilte die Deutsche Kolonialzeitung ihren Lesern mit – „zur Arbeit gezwungen werden kann und muß“. Wie das ging, illustriert Branntwein, Bibeln und Bananen mit einem Bild: „Kettengefangene Frauen beim Straßenbau in Ostafrika“ (Foto rechts oben).

„Erziehung zur Arbeit“ leisteten auch die Missionare aus dem „Haus Grüne Tanne“ beim Rauhen Haus. Sie machten durch Gottes Wort die „scheuen Bewohner der Sklavenküste“ wieder „zutraulich“. Das war auch nötig, nachdem zuvor der Billigfusel von „Helbing's Germania Spirits“ aus Wandsbek die Arbeits- und Widerstandskraft der Afrikaner ruiniert hatte.

Daß sich auch mit dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft nach dem ersten Weltkrieg die Situation der schwarzen Arbeiter nicht von allein verbesserte, belegt der „Erste Internationale Kongreß der Negerarbeiter“. Am 1. Juli 1931 trafen sich in den Büros der „Roten Gewerkschaftsinternationale“ an der Rothesood Straße die Vertreter von 20.000 schwarzen ArbeiterInnen aus 17 Ländern. Wenn sie in einer Konferenzpause aus dem Fenster über den Hafen blickten, konnten sie die Nachfahren der „Eleonore“ und der „Louise“ sehen, jener beiden Hamburger Segelschiffe, die 90 Jahre zuvor von der englischen Marine als Sklavenfrachter aufgebracht worden waren.

Branntwein, Bibeln und Bananen ist ein geordnetes Kaleidoskop. Es reicht von Abseitigkeiten wie dem „Bildnis eines Kammermohren“ im Glückstädter Palais Wasmer bis zur wechselvollen Geschichte des Denkmals für den „Kolonialpionier“ Hermann von Wissmann. 1909 wurde es in Daressalam errichtet, 1919 von den Engländern abmontiert, zwei Jahre später vor dem Hauptgebäude der Hamburger Universität feierlich neu aufgestellt, im April 1945 von englischen Bomben wieder gestürzt, vier Jahre später restauriert und auf seinen mittlerweile dritten Sockel gehoben. 1968 – nach zwei vergeblichen Anläufen – von demonstrierenden Studenten endgültig zu Fall gebracht, liegt es nun im Keller der Bergedorfer Sternwarte.

Ein Schicksal, dem der „Deutsch-Ostafrikaner“ im Sachsenwald bisher entgangen ist. Auf eine Art ist das auch gut so. Und sei es nur, weil er mit den Anstoß gab, daß sich Heiko Möhle und seine Co-AutorInnen daran gemacht haben, die durchaus noch aktuellen Bezüge zwischen Hamburg und Afrika in ihrer ganzen Tragweite erfaßbar werden zu lassen.

Heiko Möhle (Hrsg.); Branntwein, Bibeln und Bananen: Der deutsche Kolonialismus in Afrika – Eine Spurensuche in Hamburg; Verlag Libertäre Assoziation (24,80 Mark)