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Der Praktikantenboom

Sie sind jung, sie studieren und sie schnuppern überall schon mal rein: die PraktikantInnen. Vor einigen Jahren noch als Sklavenarbeit verpönt, sind Praktika mittlerweile eine begehrte Pflichtübung  ■ Von Matthias Steube

Unter den Studierenden ist es längst eine Binsenweisheit: Ohne Praktika geht nichts mehr, und nur in Einzelfällen ist nach einer Hospitanz der Karrierezug abgefahren. Nein, um Monika Lewinsky geht es nicht, sondern um die immer größer werdende Schar jener Nachwuchsakademiker, die erkennen: Der Berufseinstieg fängt nicht erst nach dem Studienabschluß an.

Vom „Königsweg in den Job“ spricht Christopher Knipping. Und den könne man nicht früh genug gehen. Knipping studiert Publizistik und Betreibswirtschaft an der Freien Universität (FU) Berlin. Folgerichtig hat er bis zum vierten Semester schon drei Schnupperveranstaltungen hinter sich gebracht: bei einer Tageszeitung, in der Marketingabteilung von T-Mobil und in einem großen Wirtschaftsprüfungsunternehmen. Knipping hat zwar nicht unbedingt jene Psychologiestudentin aus Gießen zum Vorbild, die Furore machte, weil sie sich 63 Wochen in verschiedenen Firmen und Behörden verdingte. Dennoch: „Sechs oder sieben Praktika möchte ich schon machen“, sagt er, „der Vergleich ist ja erst das Interessante.“

Während vor Jahren ein Firmenpraktikum noch als etwas anrüchig galt, sind heute die Berührungsängste fast verschwunden. „Praktika expandieren sehr stark“, sagt Knipping, der sich in der Studenteninitiative „Market-Team“ um die Kontakte zwischen Hochschulen und Wirtschaft kümmert. Selbst Geisteswissenschaftler kämen aus ihrem „Elfenbeinturm der zweckfreien Wissenschaft“ heraus: „Wenn die auf Zack sind, haben sie große Chancen in den Betrieben, wegen ihrer analytischen Fähigkeiten“.

Für den BWL-Student ist ein Praktikum ein Geben und Nehmen. Erfahrungen für den Studenten, potentielle neue Mitarbeiter für das Unternehmen. Und um an die heranzukommen, öffnen die Firmen ihre Pforten ganz weit: 6.000 Praktikumsplätze sind Jahr für Jahr allein bei den Top twenty der deutschen Unternehmen zu besetzen.

Doch immer noch gibt es eine Reihe ganz banaler Schwierigkeiten. Freiwillige Praktika scheitern – im Gegensatz zu den obligatorischen etwa in den Ingenieurstudiengängen – manchmal an versicherungsrechtlichen Fragen. Petra Jordan vom Studienbüro der Technischen Universität (TU) Berlin weiß ein Lied davon zu singen. „Wir haben für unsere Geisteswissenschaftler schon Absagen bekommen, weil plötzlich die Frage nach der Sozialversicherung im Raum stand.“

Deshalb wird jetzt an der TU daran gearbeitet, eine Praktikumspflicht für Geisteswissenschaftler in die neuen Studienordnungen einzuarbeiten.

Ein anderes Hindernis kann die Hochschule kaum aus dem Weg räumen: Wenn es für Studentinnen an männerdominierten Arbeitsplätzen kein eigenes stilles Örtchen gibt. „Manchmal ist das auch eine Ausrede, um eine Praktikantin abzuwimmeln“, meint Petra Jordan.

Dabei soll die Toilette einer Firma für manchen suchenden Studenten auch schon Einstiegspunkt für ein Praktikum gewesen sein. Wenn der Personalchef hier keine Zeit findet, den angepinnten Lebenslauf des Bewerbers unter die Lupe zu nehmen, wo und wann dann? Um in der Schar der Suchenden aufzufallen, muß man sich etwas einfallen lassen. Ein Königsweg, um Kontakte anzubahnen, ist das zwar nicht. Und doch steckt ein Körnchen Wahrheit in dieser kolportierten Geschichte. „Eigeninitiative und Eigenverantwortlichkeit muß man schon für ein Praktikum mitbringen“, sagt Christopher Knipping.

„Seien Sie aktiv und fallen Sie auf.“ Das empfiehlt Karl-Heinz Minks vom Hochschulinformationssystem (HIS) in Hannover. Auf den Anforderungslisten der meisten Personalchefs stehen Auslandserfahrungen und Sprachkenntnisse ganz oben. Ein Urlaub allein reicht da nicht. Aber Studienaufenthalte und Praktika im Ausland sind oft der Einstieg zum beruflichen Aufstieg. Neben den Sprachkenntnissen trainieren solche Studientrips Kommunikationsvermögen, Teamfähigkeit und analytische Kompetenz.

52.000 Bewerbungen um ein Auslandspraktikum oder -studium gingen 1997 allein bei der Carl Duisberg Gesellschaft ein, auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) kann sich vor Anfragen kaum noch retten. 1.000 Deutsche schickt der DAAD jährlich in 66 Partnerländer – 1.600 offene Plätze in deutschen Unternehmen werden im Gegenzug dafür angeboten. Um die 10.000 Anfragen pro Jahr gehen bei der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) in Eschborn bei Frankfurt ein. Sie verwirklicht im Auftrag der Bundesregierung Entwicklungsprojekte in 135 Ländern. Auch hier führt der Einstieg in einen späteren Job oft über eine Hospitanz noch während des Studiums.

Karriere ohne Auslandserfahrung ist kaum noch zu machen, und ein Praktikum kann die Vorstufe zu späteren Auslandseinsätzen im Job sein. „Das Interesse ist gestiegen“, sagt Günter Müller- Grätschel, der beim DAAD das weltgrößte Austauschprogramm „IAESTE“ leitet. „Es gibt einen Praktikantenboom, aber wir können in unseren Partnerländern nicht so viele Plätze zur Verfügung stellen, wie deutsche Studierende haben wollen.“

Wunschland Nummer eins sind nach wie vor die Vereinigten Staaten. Und weil die offiziell koordinierten Austauschprogramme begrenzt sind, versuchen es viele Studierende auf eigene Faust. Da sind Hürden zu überwinden: Visum, Arbeitserlaubnis, Kranken- und Sozialversicherung. „Wer da nicht aufpaßt, kann sehr leicht Schwierigkeiten mit Behörden bekommen“, sagt DAAD-Mann Müller- Grätschel.

Für manche Länder benötigt man so etwas wie einen Türöffner. Japan zum Beispiel. Das Land schickt zwar seine Leute gerne in alle Welt, „aber reinlassen wollen sie am liebsten niemanden, denn sie sehen hinter jedem einzelnen immer noch den großen Spion“, so Müller-Grätschel.

Einfacher ist der Weg über Unternehmen, die im Ausland eigene Niederlassungen haben. Bei großen Firmen wie Siemens, Bayer, Audi, BMW, BASF gehört der Auslandseinsatz fast schon zum Pflichtprogramm, wenn es um den beruflichen Aufstieg geht. „Wichtig ist neben einer qualifizierten Ausbildung eine internationale Orientierung und der Bezug zu anderen Kulturkreisen“, so Siemens- Chef Heinrich von Pierer.

Was im Job von den Mitarbeitern erwartet wird, kann über ein Praktikum bereits getestet werden: Anpassungsfähigkeit an neue Situationen, selbständige Arbeitsweise, flexibles Verhalten und Einfühlungsvermögen in andere Kulturen.

Und wie verhindert man, daß all das Engagement im Praktikum ins Leere läuft, weil man nur als billige Arbeitskraft mißbraucht wird? „Schlechte Praktikantenplätze kann man erkennen“, sagt Knipping. Zum Beispiel: Wenn ein Unternehmen streßerprobte Anfänger mit EDV-Kenntnissen sucht, „werden meist nur Adressen eingehackt“. Zu Vorsicht rät er auch in der Medienbranche. Bei der einen oder anderen Fernsehproduktion müsse man aufpassen, nicht ausgebeutet zu werden. Sein Tip: „Wenn ein Praktikant nach zwei Wochen merkt, daß die Sache stagniert, den Betreuer ansprechen.“ Spannend sind solche Ausflüge in die Praxis allemal.

Bei den einen steht am Ende vielleicht ein fachlicher Schwerpunktwechsel oder der Traumjob fürs Leben, bei anderen der Partner fürs Leben – oder zumindest auf Zeit. Grit war Anglistikstudentin, als sie in der Fernsehshow „Schmidteinander“ für ein paar Wochen die Praktikantin gab. 1997 gab sie dem Komiker Herbert Feuerstein das Jawort.

Soweit muß ein Praktikum bestimmt nicht gehen. „Doch es ist immer ein Kulturschock“, meint Müller-Grätschel, „und wenn man zurückkommt, sieht man die eigene Welt mit neuen Augen und profitiert von neuem Schub und neuer Motivation für Studium und Beruf.“

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