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Lobbyarbeit für die deutsch-türkische Freundschaft

■ Mit viel Prominenz hat die deutsch-türkische Stiftung aus Hamburg eine Niederlassung in Istanbul eröffnet. Die Veranstaltung geriet zur Debatte über das Für und Wider des Doppelpasses

Istanbul (taz) – „Ich will mich ja hier nicht in innenpolitischen Scharmützeln verlieren, aber dennoch halte ich an meiner Auffassung fest: Die doppelte Staatsbürgerschaft schadet der Integration.“ Aufgeregt zerrt Dr. Wolfgang Bötsch, Postminister a.D., CSU- Bundestagsabgeordneter aus Franken und derzeit Mitglied im Auswärtigen Ausschuß des Bundestages, an seiner Krawatte. Mitten in Istanbul, unter Hunderten von Leuten, ist er mit seiner Auffassung ganz allein auf weiter Flur.

Während Bötsch von seinen unmittelbaren Konkurrenten, dem innenpolitischen Sprecher der Grünen, Cem Özdemir, und dem SPD-Abgeordneten Olaf Scholz noch recht pfleglich behandelt wird, redet Edzard Reuter, Ex- Vorstandschef und jetziger Aufsichtsrat von DaimlerChrysler Klartext: „Jahrelang ist in Deutschland die Frage der Integration der Einwanderer auf einem katastrophalen Niveau verhandelt worden. Jetzt schürt die Opposition mit ihrer populistischen Kampagne eine Stimmung, die vergessen läßt, daß es um das Schicksal von Menschen geht, daß es um die Zukunft der jungen Generation der türkischen Einwanderer in Deutschland geht.“ Man merkt Edzard Reuter an, daß das Schicksal dieser Jugendlichen ihn persönlich berührt. Reuter ist in der Türkei aufgewachsen.

Sein Vater, der spätere Bürgermeister Westberlins, Ernst Reuter, floh vor den Nazis in die Türkei. „Als Kind“, erzählt Edzard heute, „habe ich hier auf der Strasse türkisch gelernt“. Reuter ist einer der Prominenten, die im letzten Jahr in Hamburg eine deutsch-türkische Stiftung gründeten und in dieser Woche ihre Niederlassung in der Türkei eröffneten. Einen Tag lang stellte die Stiftung der türkischen Öffentlichkeit in Istanbul ihr Anliegen vor. Angesichts der Diskussionen in Deutschland konnte es nicht verwundern, daß die Veranstaltung unversehens zu einer Debatte um das Für und Wider von Doppelpaß und neuem Staatsbürgerrecht wurde.

Vural Öger, der erfolgreichste türkischstämmige Reiseunternehmer in Deutschland und eigentlicher Initiator der Stiftung, machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung über die „antitürkische“ Unions-Kampagne. Schließlich gehörte die Stiftung zu den Lobbyisten, die nach dem Regierungswechsel mit dafür sorgten, daß die SPD mit einem neuen Staatsbürgerrecht auch die Hinnahme einer doppelten Staatsbürgerschaft akzeptiert hat.

Ein Erfolg, der genau den Vorstellungen der Stiftungsgründer über den Sinn ihres Unternehmens entspricht. „Es geht darum“, so Vorstandsmitglied Hans Kirchmann, „gesellschaftlich relevante Personen für einen deutsch-türkischen Dialog zu gewinnen.“ Die Gründerliste der Stiftung ist denn auch eindrucksvoll. Zum Kuratorium gehören neben Öger und Reuter unter anderem auch Zeit- Herausgeber Theo Sommer, der türkische Industrielle Ishak Alaton, der Dirigent Justus Frantz, Ignatz Bubis und der Mitinhaber der Roland Berger Unternehmensberatungs GmbH, Jürgen Maximow.

Ziel der Stiftung ist es, in der deutschen Öffentlichkeit ein differenzierteres Bild der türkischen Community zu verbreiten, damit die Integration zu erleichtern und letztlich auch mitzuhelfen, der Türkei den Weg in die EU zu ebnen.

So wurden denn vom Vorsitzenden der deutsch-türkischen Industrie- und Handelskammer, Horst Kaiser, und dem Chef des Essener Instituts für Türkeistudien, Faruk Șen, jede Menge eindrucksvoller Zahlen über die wechselseitigen Wirtschaftsbeziehungen vorgelegt. 800 deutsche Firmen sind in der Türkei engagiert, 20 Prozent aller türkischen Exporte gehen nach Deutschland, und auch umgekehrt zählt die Türkei für die Bundesrepublik zu den 20 wichtigsten Handelspartnern. „Die bilateralen Beziehungen“, stimmte Bonns Botschafter in Ankara, Hans-Joachim Vergau zu, sind gut. „Wenn da nicht diese EU-Geschichte wäre“.

Seit die Türkei im Dezember 1997 auf dem EU-Gipfel in Luxemburg nicht in den Status eines Beitrittskandidaten erhoben wurde, haben die Beziehungen einen Tiefpunkt in der langen Geschichte der türkischen Annäherung an die EU erreicht. Seit 1963 das erste Assoziierungsabkommen unterschrieben wurde, arbeitet die Türkei auf einen Beitritt hin. „Auf seiten der EU“, empörte sich Reuter, „herrscht gegenüber der Türkei eine ungeheure Heuchelei. Das Land hat Anspruch darauf, daß endlich Klartext geredet wird.“

Botschafter Vergau sieht diese Forderung nach dem Regierungswechsel als erfüllt an. „Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer haben im Prinzip klargestellt, daß die Türkei ein EU- Beitrittskandidat ist“. „Im übrigen“, so Vergau, „bin ich fest davon überzeugt, daß das Staatsangehörigkeitsrecht noch in diesem Jahr geändert wird“.

Da konnte selbst der Postminister a.D. zustimmen. „Das Staatsangehörigkeitsrecht“, so Bötsch, „wird geändert. Es ist nur noch nicht klar, wie.“ Jürgen Gottschlich

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