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Dezenter Duft nach Müllhalde und Pissoir

Der Konkurrenzkampf tobt: Auch beim Wein unterbieten sich die Discounter mit Niedrigpreisen. In diesen Wochen kommt der neue Jahrgang in die Regale. Aber hält der Inhalt, was das Etikett verspricht? Eine taz-Weinprobe  ■ von Ralph Bollmann

Ungewohnte Perspektiven bietet dieser Tage das sonst so schöngeistige Feuilleton mancher deutschen Tageszeitung. „24 x billiger“, wirbt da der Lebensmittel-Discounter Lidl auf zwei ganzen Seiten für Hundefutter und Toilettenpapier. „Auf Dauer noch billiger“, sucht der konkurrierende Penny- Markt auf der übernächsten Seite gleichzuziehen. Platzhirsch Aldi schließlich wirbt mit „Spitzenqualität zu Dauerniedrigpreisen“.

Es ist nicht zu übersehen: Der Konkurrenzkampf im Lebensmittelhandel ist derzeit hart wie nie. Mehr als 2.400 der insgesamt 48.500 deutschen Supermärkte mußten im vergangenen Jahr schließen. Selbst der Branchenriese Tengelmann, zu dem auch Kaiser's und Plus gehören, macht mit seinen inländischen Lebensmittel-Umsätzen keine Gewinne mehr. Da mag die Regierung noch so sehr von steigender Nachfrage schwadronieren – die Konsumenten halten ihren Blick starr auf das Preisschild gerichtet. Verbessert hat sich das Konsumklima nur insofern, als sich längst auch der Aldi-Kunde mit der Aura des Gourmets umgeben möchte.

Um zum Discounttarif solch gehobene Lebenskultur zu inszenieren, eignet sich kein Produkt besser als der Wein – gilt er doch in Germanien als Symbol der Zivilisation, seit ihn die Römer über die Alpen brachten und nebenbei die Vorläufer von Autobahnen und Fußballstadien in die nördliche Wildnis pflanzten. Auch die verwirrende Vielfalt von Rebsorten, Lagennamen und Geschmacksnuancen umgibt das Getränk mit einer geheimnisvollen Aura.

Kein Wunder also, daß sich Tengelmanns Kaiser's-Kette in einer großen Anzeigenkampagne mit blumiger Wein-Prosa profilieren will – zumal in diesen Wochen der Jahrgang 1998 in die Regale kommt. Die deutsche Paraderebsorte Riesling findet sich bei Kaiser's zwar kaum, statt dessen all jene Großlagennamen, die den Ruf des deutschen Weinbaus in den vergangenen Jahrzehnten ruiniert haben. Da wird ein Erzeugnis aus der Großlage Krötenbrunnen, die den Namen des rheinhessischen Weinortes Oppenheim weltweit in Verruf gebracht hat, als „dezent sortenbetont“ bezeichnet, obwohl auf dem Etikett überhaupt keine Rebsorte angegeben ist.

Die deutschen Weine sind ohnehin das traurigste Kapitel in den Supermarktregalen – gerade so, als wollten die Ketten das Vorurteil linksintellektueller Möchtegern- Gourmets bestätigen, ein guter Wein müsse erstens trocken und dürfe zweitens nicht aus Deutschland sein. Der ganze Unsinn des berüchtigten deutschen Weingesetzes von 1971 schlägt einem hier entgegen, etwa in Gestalt einer Auslese Rheinhessen (Penny, 3,99 Mark) ohne Sorten- und Jahrgangsangabe. Die Flüssigkeit, die aus der braunen Flasche schwappt, ist kaum als Wein zu erkennen: Sie riecht penetrant parfümiert, schmeckt nach Limonade, hinterläßt keinerlei Nachgeschmack.

Ehrlicher ist der Rebenschoppen Tafelwein weiß im Tetrapak (Aldi, 1,49 Mark), der sich schon auf der Verpackung als „Verschnitt von Weinen aus mehreren Ländern der europäischen Gemeinschaft“ zu erkennen gibt. Der Inhalt zeigt sich weitgehend farb-, geruchs- und geschmacksneutral. Mit etwas Mühe ist eine dezenter Duft nach Müllhalde und Pissoir ebenso erkennbar wie eine zarte Schweißfuß-Note im Abgang.

Doch gerade Aldi bietet dem Weinfreund auch erfreulichere Erlebnisse. Das beginnt schon mit dem ebenfalls im Tetrapak verkauften Vin de Pays de l'Aude (1,79 Mark), der sich zwar reichlich dünn, aber wenigstens ohne einen auffallenden Fehlgeschmack präsentiert und sich nicht wesentlich von den Produkten unterscheidet, die auch in Frankreich selbst als belanglose Tischweine konsumiert werden. Wer sich den Alltagswein ein wenig gehaltvoller wünscht, greift zu einem soliden Bordeaux für 5,79 Mark (1997 ChÛteau les Agrières).

Nur eine Mark mehr kostet ein Gewächs, das zum Favoriten der taz-Weinprobe avancierte: Im Nu war die Flasche Ruby Cabernet der kalifornischen Burlwood-Kellerei ausgetrunken (Aldi, 6,98 Mark). Von intensiv violetter Farbe, die manchen Probenteilnehmer im Gegenlicht an Telekom-Magenta erinnerte, ist er frisch, fruchtig und leicht, obendrein duftet er dezent nach Vanille. Mehr ist in dieser Preisklasse nicht zu erwarten.

Vom Erfolg seines Champagners beflügelt, hat Aldi seit einiger Zeit in regelmäßigem Wechsel auch eine gehobenes Bordeaux- Gewächs im Sortiment. Zur Zeit handelt es sich um einen 1994er ChÛteau Grand Geyrot, Saint Emilion Grand Cru. Das ist zwar nicht ganz so edel, wie es sich zunächst anhört, denn zum Kreis der 74 klassifizierten großen Gewächse aus Saint Emilion zählt dieser Tropfen nicht. Doch bei notorischen Etikettentrinkern läßt sich mit dem Namen renommieren, auch wenn der Inhalt eher solide als aufregend ist. Der Wein hat wenig Gerbstoffe und wirkt folglich rund und ausgewogen, fast jedoch ein wenig schwachbrüstig, mit der typischen Note von schwarzen Johannisbeeren.

Mehr Wucht hat da schon der 1995er ChÛteau de Panigon aus dem Médoc (Plus, 10,79 Mark), ein Cru Bourgeois, der sich immerhin in manchem Weinführer als empfehlenswert verzeichnet findet. Mit Kirscharomen und einer leicht rauchigen Note wirkt dieser Wein noch ein wenig verschlossen. Eine gewisse Enttäuschung läßt sich wie beim Saint-Emilion nicht verhehlen. Im guten Fachhandel finden sich in dieser Preisklasse interessantere Weine, wenn auch mit weniger klangvollen Namen.

Vielleicht sollte man sich im Supermarkt lieber an önologische Hausmannskost halten. Etwa an den 1997er ChÛteau Haut-Moulin de Gourdin (Penny, 5,79 Mark) von den Premières Côtes de Bordeaux, dem rechten Garonneufer südöstlich von Bordeaux. Er hat den staubtrockenen Charakter eines typischen einfachen Bordeaux. Traditionell ist auch der 1997er Chianti Conti Serristori (Penny, 4,98 Mark): Unverkennbar aus der klassischen Chianti-Traube Sangiovese bereitet, frisch, fruchtig und leicht moussierend, von allen Edel-Chianti-Wellen unberührt, läßt er Erinnerungen wach werden an frühe Toskana-Urlaube, als man noch nicht durch bessere Weine verdorben war. Der ideale Begleiter zu einem Nostalgie- Menü mit der bewährten Penny- Tiefkühl-Pizza – zum Dauerniedrigpreis.

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