■ Zum Ende des Impeachment-Verfahrens gegen Präsident Clinton
: Moral ist nicht nur Sexualmoral

Präsident Nixons nie durchgeführtes Impeachment-Verfahren hat die USA nachhaltig verändert. Historiker führen das rapide gesunkene Vertrauen in die Regierung auf Nixons Machtmißbrauch zurück. Des Machtmißbrauchs und der Behinderung der Wahrheitsfindung war eigentlich auch Clinton angeklagt. Je lauter aber seine Ankläger davon sprachen, desto mehr verstand man im Lande: Sexaffäre.

Im Gedächtnis der Nation wird also zurückbleiben, daß ein Präsident wegen einer sexuellen Übertretung aus dem Amt gejagt werden sollte. Auf eine eigenartige Weise hat die sexuelle Revolution der 60er Jahre damit zugleich gesiegt und verloren. Wegen eines Seitensprungs, wegen Sex im Amt kann man heute so leicht niemanden feuern. Und doch hat die Auseinandersetzung um Clintons Sex die Auseinandersetzung um Moral im allgemeinen auf erschreckende Weise eingeengt: Fast scheint es, als sei es der Bürgerrechts-, der Frauen und Anti-Vietnamkriegs-Bewegung, deren Kind Clinton ist, nicht um mehr als um die Umwälzung einer vermufften Sexualmoral gegangen.

Bereits Mitte letzten Jahres hat Clintons Pfarrer, Wiegaman, darauf aufmerksam gemacht, daß Charakter und Moral eines Menschen aus mehr bestehen als aus seiner Sexualität. In der Schlacht zwischen Tugend und Sünde zählten auch Engagement und Mitgefühl, Einsatz für Benachteiligte und für Gerechtigkeit, so Wiegaman. Nach Abschluß des Verfahrens griff Rabbi Harold Schulweis aus Kalifornien das gleiche Motiv auf. Auf die Frage der US-Moralapostel, die während des Sexskandals die Hände rangen und rhetorisch fragten, was sie ihren Kindern eigentlich über Recht und Unrecht beibringen sollten, wo doch der höchste Repräsentant des Staats sich derart unmoralisch verhalte, hatte er eine schlichte Antwort: „Bibel öffnen und deren Geschichten nachlesen!“

Die Geschichte König Davids zum Beispiel, der ein Mörder und Ehebrecher war. „Es gibt in der Bibel keine Heldengestalt, die nicht zugleich voller Schwächen ist und sich vielfach versündigt hat – und umgekehrt gibt es keinen Sünder, der nicht auch menschliche Tiefe und Züge menschlicher Größe hat.“ Es wäre eine Ironie der Geschichte, wenn Clintons Amtszeit in den kommenden Jahren und Jahrzehnten nur daran gemessen würde, wie er die Sexualmoral beeinflußt hat, und nicht daran, was er als Auftrag seiner Generation mitbrachte: an der Schaffung von mehr Gerechtigkeit und mehr Ausgleich für ein Land, dessen Klassen, Rassen und Geschlechter tief gespalten und miteinander verfeindet sind. Peter Tautfest