piwik no script img

Neuanfang beginnt morgen

■ Kurz vor dem Abitur muß eine bosnische Schülerin ohne Schulabschluß in die USA ausreisen / „Eingeklemmt zwischen Nationalismen“, schimpfen Freunde und Lehrer

Lehrer Ludwig Lüter ist sauer auf sein Kollegium in der Schule Hamburger Straße. Grund ist der Fall einer 20jährigen bosnischen Schülerin, die morgen, drei Monate vorm Abitur, in die USA ausreisen muß. „Wir reden so viel auf unseren Konferenzen, aber so eine Geschichte erfährt man nicht“, ist Lüter aufgebracht.

Die „Geschichte“ die er lange nicht erfahren hatte, betraf die schwierige Lage der Bosnierin Sanela Kostura. Die Schülerin – vor sieben Jahren mit den Eltern aus dem Bosnienkrieg nach Bremen geflohen – mußte kürzlich eine Gewissensentscheidung treffen: Entweder am 17. Februar in die USA ausreisen; Knall auf Fall das ultimative Angebot der US-Behörden annehmen. Als Kontingentflüchtling mit allen Chancen eines Neuanfangs. Oder in Bremen bleiben und wie ursprünglich geplant im Frühsommer das Abitur machen – aber danach sofort nach Bosnien ausreisen. „Auf was anderes wollte sich die Ausländerbehörde nicht einlassen“, sagt Fritz Starke böse. Seit der Zwangsausreise von Sanelas Eltern im vergangenen Jahr nach Sarajevo war er für Sanela „ein bißchen Familienersatz“. Die bevorstehende Trennung „zieht schon ganz schön im Bauch“. Aber eine andere Lösung als USA habe er auch nicht empfehlen können – denn beruflich hätte die junge Frau, Tochter einer serbischen Mutter und eines bosnischen Vaters, in Bosnien kaum eine Chance. „Und die ist doch so talentiert, spricht deutsch fließend und fehlerfrei.“ Im Bundeswettbewerb Fremdsprachen machte Sanela sogar einen spanischen Sonderpreis. „Wegen der Sprache mache ich mir wenig Sorgen. Aber was man so einer jungen Frau alles zumutet, finde ich ungeheuerlich“, sagt Starke. Für ihn ist die „Vertreibungspolitik der Bremer Innenbehörde“ schuld am Weggang Sanelas – noch dazu ohne Abi in der Tasche.

Die junge Bosnierin Sanela klingt mittlerweile selbstsicher. „Ich reise in die USA. Dort bekomme ich nach acht Monaten die Green Card und nach fünf Jahren einen amerikanischen Paß.“ Die SchulfreundInnen aus Bremen bewundern ihre Entscheidung – und langsam beginne sie selbst, sich auf den neuen Lebensabschnitt zu freuen. Auch wenn die Entscheidung mehr als schwer gefallen sei. „In den USA muß ich wieder ganz von vorne anfangen.“ Dann ergänzt sie nüchtern: „Aber da bekomme ich, was ich in Deutschland nie hatte. Ich kann mich frei bewegen und sicher fühlen.“ Unsicher ist aber, ob sie mit dem Zeugnis der 12. Klasse dort einen Collegeplatz bekommt.

Lehrer Lüter – der zu spät informierte – und Studiendirektor Starke sind einer Meinung: „Die junge Frau wurde zwischen Nationalismen eingeklemmt.“ Unabhängig voneinander bezweifeln sie, daß für Sanela „keine andere Lösung als das Exil“ möglich gewesen wäre. „Man hätte sie wirklich hier behalten können.“ Stattdessen habe man sie regelrecht schikaniert: „Die Staatsorgane der BRD sind der Ansicht, daß Sanelas Hierbleiben die Belange der BRD in staatsabträglicher Weise beschädige“, hatte Starke an die Klassenlehrer seines Schützlings kürzlich geschrieben – und gebeten, deren häufiges Fehlen zu entschuldigen. Zur Verlängerung ihrer Duldungen mußte Sanela jede Woche mehrere Stunden beim Ausländeramt sitzen. Dort heißt es nüchtern: „Ein übliches Verfahren – wegen des lange unklaren Ausreisetermins in die USA.“ Das kann Schulleiter Stille nicht finden. „Wir werden darüber noch sprechen müssen“, sagt er. Und: „Wenn es Sanela in den USA nicht gefällt, kann sie als Amerikanerin wiederkommen und ihr Abi hier machen.“ Aber Sanela packt. Morgen nacht geht's los. ede

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen