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1b-Zeugnis für das Bremer Theater

■ Nach einer Umfrage finden drei Viertel aller BesucherInnen das Vier-Sparten-Haus gut bis sehr gut / Überregionale Anziehungskraft fast so groß wie beim Musikfest

Diese Frau – nennen wir sie Heidemarie M. – wird wohl so schnell nicht wiederkommen. Die mindestens 60jährige Angestellte oder Beamtin wurde durch die Besucherorganisation Dr. Udo Kasten auf das Bremer Theater aufmerksam, die seit Mai 1998 im Bremer Umland Karten für das Schauspielhaus, Concordia das Große Haus am Goetheplatz verkauft. Doch Heidemarie M. war unzufrieden. Als sie im Sommer letzten Jahres eine Aufführung im Bremer Theater besuchte und nach ihrer Meinung befragt wurde, kreuzte sie in der Rubrik Aufführungsqualität „unbefriedigend“ an. Doch Heidemarie M. taucht nur als 0,1-Prozent-Größe in der Auswertung einer BesucherInnenbefragung auf, die das Theater gestern vorstellte. Und sie weicht in ihrem Urteil stark vom Mehrheitsvotum ab. Denn fast 75 Prozent der Befragten finden gut oder sehr gut, was ihnen im Bremer Vier-Sparten-Haus serviert wird. Und so kann sich Intendant Klaus Pierwoß fortan nicht mehr nur über steigende BesucherInnenzahlen, sondern auch über ihre Zufriedenheit freuen.

Die theaterinterne Strukturreformkommission (Kultursenatorin Kahrs: „Reformstrukturkommission“) hatte die Befragung im letzten Jahr vorgeschlagen. Neben Heidemarie M. wurden im Sommer 1998 noch 1.308 weitere BesucherInnen von 15 verschiedenen Vorstellungen interviewt. „Das ist die erste Publikumsbefragung im Bremer Theater überhaupt“, sagt Uli Fuchs, der die Untersuchung betreut hat. Die in Zusammenarbeit mit dem Statistischen Landesamt und der an den Ergebnissen stark interessierten Hanseatischen Veranstaltungsgesellschaft (HVG) im Do-it-yourself-Verfahren entstandene und mit rund 12.000 Mark vergleichsweise spottbillige Befragung zeichnet ein in Maßen überraschendes Bild der TheaterbesucherInnen.

Theater ist wie in anderen Städten auch in Bremen vor allem Frauensache. Demnach sind zwei Drittel der BesucherInnen weiblich (oder bereit, Interviews zu beantworten). Knapp zwei Drittel der BesucherInnen sind älter als 40 Jahre, und die über 60jährigen mit 23 Prozent die größte Gruppe. Die Konsequenz: mehr für die Jugendarbeit tun. Näheres regelt ein Arbeitskreis. Auch die Herkunftsstruktur will das Theater verändern, denn es ist buchstäblich ein Stadttheater: Die BesucherInnen kommen mehrheitlich aus den bürgerlichen Stadtteilen zwischen Neustadt, Schwachhausen und Borgfeld, während Menschen aus Bremen-Nord bis Walle sowie dem Bremer Südosten kaum den Weg an den Goetheplatz finden. Dagegen hat das Theater mit acht Prozent BesucherInnen aus dem weiteren Umland fast die gleiche überregionale Anziehungskraft wie das Musikfest, das eigentlich zu diesem Zweck gefördert wird. Weitere 20 Prozent der TheatergängerInnen kommen aus dem direkten Umland.

Die Vorlieben der insgesamt überdurchschnittlich gebildeten Befragten sind deutlich: 60 Prozent bevorzugen klassische Opern, fast die Hälfte klassische Schauspiele, 55 Prozent Musicals und immerhin ein Drittel das Tanztheater. Trotzdem will das Theater den Spielplan jetzt nicht völlig umkrempeln und die Ergebnisse vor allem in Sachen Werbung und PR deuten. Das von allen Bremer Theatern finanzierte Litfaßsäulenplakat mit den Terminangaben könnte – mangels Nutzung – demnach bald verschwinden. Doch das ist alles noch Beratungssache.

Eine Anschlußuntersuchung empfiehlt Uli Fuchs allerdings schon jetzt. Dabei wird auch nach dem Einfluß des kommerziellen Musicals „Jekyll & Hyde“ gefragt. Auch die Erfolge der Zusammenarbeit mit Werder Bremen (Kartenverlosung bei Heimspielen) sollen dann analysiert werden, so wünscht es sich jedenfalls Intendant und Fußballfan Klaus Pierwoß. Eine Befragung vom Nicht- oder Nicht-mehr-BesucherInnen ist dagegen mangels Geld nicht vorgesehen. ck

Die Auswertung der Publikumsumfrage ist als Heft 13 der Reihe „Stadtforschung“ beim Statistischen Landesamt erschienen und dort sowie im Theater erhältlich.

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