piwik no script img

In der Bergarbeiterstadt Fushun in der Provinz Liaoning müssen die Entlassenen improvisieren, um ihr Überleben zu sichern

Den Kohlearbeitern in Fushun in der manschurischen Provinz Liaoning geht es dreckig. Früher waren sie Helden der Arbeit, schufteten für Mao an der „Dritten Front“ gegen die Sowjetunion. Jetzt sind sie arbeitslos, laufen den letzten Kohlelastwagen hinterher, die die halbgeschlossene Grube verlassen. Die ehemaligen Bergarbeiter strecken ihre Arme aus, achten dabei nicht auf den Verkehr, nur um etwas von dem schwarzen Gold von der Ladefläche zu reißen. So arm sind sie schon, daß sie Kohlekrumen für Herd und Heizung auf der Straße aufsammeln müssen.

Dem 73jährigen Zhang Ziyong ist nichts geblieben außer seiner Arbeiterhütte und einer hustenden Frau. Die muß er pflegen und ernähren. Doch womit? Die in den Jahren des Grubenschweißes verdiente Rente zahlt die bankrotte Firma nicht mehr. Zhang träumt von Maos Zeiten, als die Volksrepublik auf ihre Arbeiter noch stolz war. Seine Tochter träumt nicht mit. Sie fürchtet sich: „Was wird erst werden, wenn meine Eltern ihre Ersparnisse aufgebraucht haben?“ Sie selbst ist mit einem arbeitslosen Elektriker verheiratet.

In Fushun, der berühmtesten Bergarbeiterstadt Nordostchinas, sind laut unterschiedlichen Quellen zwischen 60 und 80 Prozent der arbeitenden Bevölkerung ohne Job. Selbst im tiefsten Winter bei Eiseskälte treibt sich ein Großteil der Stadtbewohner auf den überfüllten Straßen herum. Vermutlich ist es zu Hause auch nicht wärmer.

Je länger man dem Treiben zuschaut, desto stärker prägt sich ein, weshalb Fushun trotz seiner katastrophalen Wirtschaftslage noch keine Stadt der Gewalt und des Chaos ist: Die Menschen beschäftigt etwas, sie gehen einkaufen oder verkaufen. Sie tragen Schilder um den Hals, preisen ihre Fähigkeiten an. Manche sitzen vor der Haustür und versuchen aus den unmöglichsten Dingen noch etwas zusammenzubauen: ein Fahrrad zum Beispiel. Kein Alteisen bleibt liegen, kein Papier geht in den Papierkorb. Die Stadt ist in all ihrem Elend erstaunlich sauber.

Zudem gibt es noch Hoffnungsschimmer – wie etwa das über Peking und die Provinzregierung finanzierte Wohnungsbauprogramm. Zwischen den alten Arbeiterkasernen ragen in der Innenstadt gelb angestrichene Betonhochhäuser empor. Auch dort wohnen Leute. Wer es ist, der die neuen Eigentumswohnungen bezieht, will im alten Grubenviertel niemand wissen. Doch es können nicht nur korrupte Parteikader sein. Dafür gibt es in der Kohlestadt inzwischen schon zuviel gelbe Wände.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen