piwik no script img

Was wäre bloß ohne die Werbung?

■ Zehn private Fernsehsender kämpfen seit neuestem mit Werbespots für 25 Millionen Mark für das, was ihnen am liebsten ist: die Werbung

Die Züge des fernsehenden Pulliträgers erschlaffen, Werbeunterbrechung – er greift zur Fernbedienung. Da fährt die Kamera ganz nah an sein markantes Gesicht heran. Es erklingt der akustische Zeigefinger aus dem Off: „Schon mal darüber nachgedacht, was ohne Werbung anders wäre?“ Aus dem schwarzledernen TV-Sessel hebt es ihn auf eine freie Ebene. Irgendwie Küste, bewegter Himmel, Weite. Eine Ästhetik wie aus der Naßrasiererwerbung.

„Wenn die Werbung verschwindet, gibt es weniger Produkte und Service.“ Eine Pyramide aus TV- Geräten sekundiert: „Produkt“ und „Service“ steht da auf Bildschirmen, die einer nach dem anderen abgeschaltet werden, zuletzt „Jobs“. Botschaft plaziert und verstanden. Nach einer letzten rasanten Kamerafahrt um den Konsumentenkopf fällt der exemplarische Zuschauer in den Ledersessel zu Kartoffelchips und Fernbedienung zurück. Er grinst leicht und macht ein Gesicht, als sei er jetzt Geheimnisträger, denn er versteht: „Werbung: Vielfalt. Wettbewerb. Arbeitsplätze.“

Seit Sonntag laufen dieser und ein zweiter Spot auf praktisch allen privaten Vollprogrammen der Republik, 2.000mal 30 Sekunden alleine dieses Jahr, vorraussichtlich bis ins Jahr 2001. „Wir wollen einen Denkanstoß geben“, sagt Hartmut Schultz vom Verband Privater Rundfunk (VPRT). Die Initiative zur Imagepflege kam aus der Werbewirtschaft, abgeschaut natürlich in den USA. Motive in Zeitungen und Zeitschriften werden folgen. Schließlich wird die Goodwill-Botschaft noch plakatiert. Allein das Privatfernsehen stellt 1999 Sendezeit für 25 Millionen Mark zur Vefügung.

Hintergrund der Aktion ist, daß die Netto-Werbeerlöse der Sender geringer werden. Und die Akzeptanz von Werbung in Deutschland ist niedriger als anderswo, man zappt gerne weg.

„Auch die ARD unterstützt die Kampagne grundsätzlich“, erklärt Bernhard Cromm, Geschäftsführer der ARD-Werbetochter. Er hoffe, noch im Februar die ersten Spots ausstrahlen zu können. Seltsam ist es schon, daß die Privaten die ARD einladen, mit ihnen Werbung für Werbung zu machen. Denn regelmäßig schimpfen die Kommerzsender, ARD und ZDF sollten ihre Reklame abschaffen. Doch VPRT-Sprecher Schultz sagt: „Das geht weder in Konkurrenz zu den Öffentlich-Rechtlichen noch zum Pay-TV.“

Auch der Fernsehkonzern CLT-Ufa lobt die Aktion. Dabei gehört ihm nicht nur der werbefinanzierte Sender RTL, sondern auch das werbefreie Abo-Fernsehen Premiere. Da würden eben „unterschiedliche Präferenzen“ bedient, sagt CLT-Ufa-Sprecher Matthias Wulff. „Eine gute Investition vom VPRT“, lobt er: „Nicht ganz unclever gemacht.“

Das waren auch die Premiere- Anzeigen im vergangenen Jahr. In Zeitschriften spöttelte der Sender gegen die Reklame: „Na, freuen Sie sich schon auf die Werbeblöcke heute abend?“, hieß es einmal. Und: „Nur zur Erinnerung, das zwischen der Werbung heißt Film.“ Stefan Schmitt

Werbungswerbung selbst sehen: zum Beispiel heute abend auf Kabel 1 um 18.35 Uhr und 20.10 Uhr

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen