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„Mit Chauvinismus hatte Rudi nichts im Sinn“

■ Gretchen Dutschke-Klotz, die Witwe Rudi Dutschkes, über den Versuch früherer SDS-Mitstreiter, aus den Äußerungen ihres Mannes eine nationale Wiedererweckungsbewegung zu basteln

taz: Horst Mahler, ein früherer SDS-Streiter, hat eine nationale Sammlungsbewegung gegründet. Bewahrheitet sich das Sprichwort, die Extreme berühren sich irgendwann?

Gretchen Dutschke-Klotz: Es gibt keinen Automatismus. Was Mahler angeht, so verstehe ich ihn wirklich nicht mehr. Ich habe den Eindruck, daß er nie einen festen Boden unter den Füßen hatte, immer auf der Suche war. Vielleicht ist das jetzt auch nur eine Etappe in seinem Leben.

Mahler investiert sehr viel Energie in sein Vorhaben. Kaum eine Woche vergeht, in der er nicht Pamphlete verschickt.

Die Art, wie er sich bemüht, seine religiösen Ideen in die Politik reinzubringen, erinnert mich an die US-Fundamentalisten. Da wäre er gut aufgehoben. Aber dafür ist er ja (lacht) zu antiamerikanisch.

Bernd Rabehl, ein früherer Mitstreiter Ihres Mannes und heute Soziologieprofessor, hat sich unlängst in einem Referat vor einer schlagenden Verbindung ausdrücklich auf Dutschke berufen. Ist da jetzt ein Kampf um den Dutschkismus ausgebrochen?

Na ja, es gibt schon einen Kampf, aber man sollte die Verdrehungen von Rabehl und Mahler nicht zu ernst nehmen. Rudi hat damals wirklich einige Sachen zur nationalen Frage geschrieben, die mißverstanden werden können.

Was zum Beispiel?

Rudi hat vom Verlust deutscher Identität geredet, welchen er teils auf den Faschismus, teils auf die Amerikanisierung zurückführte. Die Gefahr dabei war, daß man seine Worte schnell ihrer emanzipativen und sozialistischen Ziele entledigen konnte, um daraus einen rechtsradikalen, nationalen Chauvinismus zu machen. Rudi wäre entsetzt, wenn er das wüßte.

Rabehl beharrt darauf, daß er und Dutschke Vertreter, ja Vorreiter einer nationalrevolutionären Bewegung waren.

Rudi zum Fürsprecher einer nationalrevolutionären oder gar linksfaschistischen Bewegung zu machen ist eine absurde und bittere Verdrehung der Geschichte. Allerdings ist er nicht unproblematisch mit der deutschen Geschichte umgegangen.

Woran denken Sie da?

Er hat sich niemals mit den Konzentrationslagern auseinandergesetzt, weder mit den sechs Millionen Menschen, die umgebracht wurden, noch mit der Ausrottung des jüdischen Volkes. Noch 1978 schrieb er: „So stellte sich mir die Frage nach den Verantwortlichkeiten für den Zweiten Weltkrieg. Meine christliche Scham über das Geschehene war so groß, daß ich es ablehnte, weitere Beweisdokumente zu lesen, und mich mit einer allgemeinen Erkenntnis zufriedengab: Der Sieg und die Macht der NSDAP, das Entstehen des Zweiten Weltkrieges ist von einem Bündnis zwischen NSDAP und den Reichen, dem Monopolkapital, nicht zu trennen.“ Aus heutiger Sicht muß man sagen: Wir können diese Sätze nur aus der Zeit heraus verstehen – aber nicht entschuldigen.

Der antiamerikanische Tenor vieler Linker deckt sich mit den antiamerikanischen Vorstellungen der Rechten. War nicht der Weg, den Mahler und Rabehl in diesem Punkt zurücklegen mußten, sehr kurz?

Nein, nein, das ist mir zu einfach. Man sieht aber an Mahler und Rabehl, daß man mit dem Antiamerikanismus sehr gut auch bei der Rechten landen kann. Rudi war nie antiamerikanisch in diesem kulturellen Sinn. Damals ging es um die Politik der USA in Vietnam. Das war sehr konkret.

Nun hat Rudi Dutschke vehement die Übernahme des US-kapitalistischen Modells in Westdeutschland kritisiert. Darauf berufen sich Mahler und Rabehl, wenn sie die USA angreifen.

Man muß Rudis Deutungen der Geschichte aus der damaligen Situation heraus erklären. Wir glaubten Ende der 60er, daß eine nichtkapitalistische Welt möglich war. Und heute? Wir haben keine sichtbare Alternative zum Kapitalismus. Eine Antwort kann doch nicht sein, daß wir dann in den Nationalismus flüchten, wie das Mahler und Rabehl tun.

Die Auseinandersetzungen um Dutschke sind ja keineswegs neu. Schon in den 70er Jahren wurde sein angeblich nationaler Kurs kritisiert.

Das ist richtig. Er schrieb schon damals: „Gezielt wird gelogen. Wenn ich von Amerikanisierung und Russifizierung schreibe, dann geht es um Produktions- und Lebensverhältnisse, die nach dem Zweiten Weltkrieg in verschiedenster Art und Weise aufgepfropft, großmachtmäßig bestimmt wurden.“ Aber mit Chauvinismus hatte Rudi nichts im Sinn. Niemals wollte er in die Hände der Rechten spielen.

Haben Sie mit Rabehl noch Kontakt?

Im November war ich in Deutschland, da haben wir miteinander geredet. Rabehl meinte zu mir, er müßte seine Lebensbiographie verteidigen. Ich werde den Verdacht nicht los, daß er sich auch an mir rächen will.

Wieso das?

Ich habe in meiner Biographie über Rudi nicht sehr positiv über Bernd Rabehl geschrieben. Bernd kann mich nicht ausstehen, von Anfang an nicht. Als Rudi und ich 1966 heirateten, war er dagegen. Später hat er immer wieder Briefe geschrieben, in denen er Rudi gegen mich aufbringen wollte. Na ja, ich bin ja Amerikanerin. (lacht) Irgendwie bin ich wahrscheinlich für ihn eine Vertreterin des US-Kulturimperialismus.

Das klingt ja nach einem typischen Familienstreit unter 68ern.

Ein bißchen ist das auch so. (lacht)

In Berlin treffen sich Veteranen des SDS nun wieder. Ist das die Versöhnung im späten Alter?

Es stimmt, daß viele, die damals zusammen waren, sich heute nicht mehr ertragen können und heillos untereinander zerstritten sind. Das hat politische, biographische Gründe. Ich habe den Eindruck, in Mahler und Rabehl haben sie jetzt einen gemeinsamen Gegner gefunden. Interview: Severin Weiland

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