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Öcalan in die Türkei entführt / PKK-Anhänger in Aufruhr

■ Nachdem der türkische Geheimdienst den Chef der kurdischen Arbeiterpartei in Nairobi kidnappte, protestierten in Europa Tausende seiner aufgebrachten Anhänger

Istanbul/Berlin (taz) – Am Montag abend schnappte die Falle zu. Nach zwölf Tagen vergeblichen Wartens in der griechischen Botschaft in Kenia ließ sich PKK- Chef Abdullah Öcalan auf ein windiges Angebot ein. Er könne in die Niederlande fliegen und sich dort stellen, offerierten ihm die kenianischen Behörden. Der PKK-Chef lief geradewegs in die Fänge des türkischen Geheimdienstes MIT. Mit einem Privatjet wurde er gestern in die Türkei gebracht.

Die Aktion war so geheim, daß der Flieger beim Anflug auf Istanbul zunächst keine Landeerlaubnis bekam. Der Tower war nicht informiert. Nach einem kurzen Aufenthalt auf dem Zivilflughafen soll Öcalan dann zu dem Militärflughafen Bandirma geflogen worden sein. Ein Reporter berichtet, er habe gesehen, wie der PKK-Chef dort auf ein Kriegsschiff gebracht worden sei. Nun wird er auf der früheren Gefängnisinsel Imrale vermutet. Öcalan soll vor dem Staatssicherheitsgericht wegen Landesverrat, Separatismus und Anstiftung zum Mord angeklagt werden. Der türkische Ministerpräsident Ecevit rief gestern die Anhänger des PKK- Chefs, „die jungen Leute auf den Bergen“, auf, die Waffen niederzulegen und das strafmildernde „Reuegesetz“ in Anspruch zu nehmen.

Öcalans Anwältin Britta Böhler beantragte gestern beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg ein Dringlichkeitsverfahren für ihren Mandanten. In ganz Europa protestierten Kurden gegen die Festnahme. Ihre Wut richtete sich besonders gegen Griechenland und Kenia. In zahlreichen Städten wurden Botschaften und Konsulate beider Staaten besetzt. So auch in Bonn, Berlin, Stuttgart, Köln, Hannover, Düsseldorf und Frankfurt am Main. In Leipzig wurden ein Steuerberater und zwei weibliche Angestellte als Geiseln genommen. Die Polizei begann dort am frühen Abend, das besetzte griechische Generalkonsulat zu räumen. Ein Sondereinsatzkommando stürmte das Gebäude und befreite die Geiseln.

In vielen deutschen Städten protestierten aufgebrachte PKK-AnhängerInnen auf den Straßen, einige drohten mit Selbstverbrennung. In Berlin und im baden- württembergischen Hechingen machten zwei Kurdinnen diese Drohung war. In Hechingen übergoß sich eine 17jährige mit Benzin und zündete sich an. Anwohner löschten die Flammen, die junge Frau kam mit schweren Verbrennungen ins Krankenhaus. Auch die Kurdin in Berlin kam mit schweren Verletzungen in ärztliche Behandlung. In Stuttgart kesselte die Polizei etwa 1.000 KurdInnen ein, die in die Innenstadt marschieren wollten. Dort folgten gerade 200.000 Menschen dem Fastnachtszug. Der Bundesinnenminister Schily kündigte an, gewalttätige Kurden müßten mit Abschiebung rechnen.

Ein Sprecher des PKK-Zentralkomitees rief die KurdInnen in Europa zu Besonnenheit auf. Die Wut müsse mit kühlem Kopf in Protest umgesetzt werden, hieß es im PKK-Sender MED-TV. Die KurdInnen in der Türkei forderte er auf, „den Widerstand gegen die Unterdrückung zu verstärken“.

Jürgen Gottschlich/Thomas Dreger

Tagesthema Seiten 2 und 3

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