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Tapfer ins Unglück

Meisterin der Unmittelbarkeit: Shirley MacLaine wird heute ein Goldener Bär für ihr Lebenswerk verliehen  ■ Von Marion Löhndorf

Einen größeren Unterschied zum letztjährigen Berlinale- Star, Catherine Deneuve, könnte es kaum geben. Shirley MacLaine ist eine Frau mit vielen Gesichtern und Images. Das der Dame gehört nicht dazu. Zurückhaltung und Diskretion sind ihr egal, eine geheimnisvolle Aura umgibt sie nicht. Als Projektionsfläche für Zuschauerträume ist sie untauglich – das Grinsen zu breit, die Stimme zu laut, der Blick von keiner Undurchschaubarkeit getrübt: Von einer geheinmisvollen Aura kann bei ihr keine Rede sein.

Andere Filmstars lassen es bei einem Memoirenwerk im Dienste der Unsterblichkeit bewenden. Shirley MacLaine aber fand ihre Wege zum Ich zu bedeutsam, um aus ihrem Herzen ein Psychoseminar mit nur einem Teilnehmer zu machen. Sie wünschte sich auch dazu Publikum: „Als meine innere Suche eine metaphysische und spirituelle Richtung einschlug, glaubte ich anfangs, dabei handle es sich um eine rein private Angelegenheit. Doch dann erlangten die Entdeckungen, die ich machte, überwältigende Bedeutung und Wichtigkeit, nicht nur für meine eigene Person, sondern als eigenständige, machtvolle Philosophie.“

Daß sie ein Star wurde, verdankt sich einer neurotischen, aber kreativ beflügelnden Familienkonstellation. In keinem ihrer Bücher versäumt Shirley die Gelegenheit, über Fluch und Segen ihres Herkommens zu sinnieren. Sie ist Jahrgang 1934, schottisch-irischer Abstammung, ihre Eltern waren Lehrer, ihr Elternhaus beschreibt sie als typisch kleinbürgerlich. „Ich glaube, das Bedürfnis, beruflich an der Spitze zu stehen, war eine Fortsetzung davon, die unerfüllten Träume meiner Eltern weiterhin auszuleben, insbesondere die meiner Mutter“, sagte sie einmal.

In diesem Sinne folgerichtig übernahm sie später den Mädchennamen der Mutter als Künstlernamen. Vor Künstlernamen und Ruhm stand hartes Training. Ab dem dritten Lebensjahr erhielt Shirley MacLaine intensiven Ballettunterricht, ein bald geliebter Drill, der ausgiebiges Fernbleiben von zu Hause ermöglichte.

Kaum 18, zog sie nach New York, um professionell zu tanzen. Mit 19 zeigte sie in Musicals wie „Me and Juliet“ und „The Pyjama Game“ erste Anzeichen strahlkräftiger Könnerschaft, und wie im Märchen saßen eines Tages Alfred Hitchcock und Filmproduzent Hal B. Wallis unter den Zuschauern und entdeckten Shirley MacLaine für den Film.

Ihr erster, Hitchcocks „The Trouble with Harry“ (1954) katapultierte sie in den Star-Himmel und gleich wieder zurück. Hollywoods Gepflogenheiten waren nicht die ihren. Ihr Verhältnis zur Traumfabrik blieb halb freundlich distanziert, halb kriegerisch. Dazu trug ihr politisches Engagement nicht unwesentlich bei, ihr Einsatz für schwarze Bürgerrechtler, ihr frühes Bekenntnis zur Womens- Lib-Bewegung. Sie mischte sich ein, und dies gern und gründlich. Legendär wurde die Ohrfeige, die sie in aller Öffentlichkeit dem Klatschkolumnisten Mike Connelly gab: Präsident John F. Kennedy beglückwünschte sie dazu per Telegramm.

Nicht nur im Leben, auch im Film erwies sich die rothaarige Shirley MacLaine als Meisterin der Unmittelbarkeit. In ihren großen Rollen hielt sie mit dem, was sie dachte und fühlte, nie hinterm Berg, in ein auf Effekte abzielendes Overacting rutschte sie dabei fast nie ab. Fast immer gelang es ihr, im Glück dessen Bedrohung und im Unglück dessen baldiges Ende aufscheinen zu lassen. Wenn sie zu Beginn von „Sweet Charity“ (1970) euphorisch durch den Central Park tanzt, ahnt man gleich Böses, und als sie in der letzten Szene von Gott und der Welt verlassen auf einer Parkbank aufwacht, weiß man, daß sie dem Unglück tapfer ins Gesicht lächeln und weitermachen wird.

Dazwischen liegen unzählige Szenen, in denen sie ihr tänzerisches Talent austoben kann, ihren breiten roten Mund immer den falschen Männern zum Küssen hinhält und reichlich Gelegenheit hat, ihr Make-up durch Ströme von Tränen in eine undefinierbare Farbpfütze zu verwandeln. Ihr Mut zur Selbstdarstellung vor laufender Kamera fand in der Krankenhausszene in „Postcards from the Edge“ (1990) als erbarmungswürdig hergerichtete, vom Alkohol ruinierte Ex-Filmdiva ihren vorläufigen Höhepunkt.

Niemand hat im amerikanischen Film so lebensecht häßlich und herzzerreißend geheult wie Shirley MacLaine, oft in der Rolle des mehr oder weniger gutherzigen Objekts der Begierde, das von den Männern mit wenig Respekt behandelt wird. So in Billy Wilders „Irma la Douce“ (1963) und „The Apartment“ (1959).

Sie selbst sagte einmal, sie habe in 50 Filmen 37 mal eine Nutte gespielt: „Wenn ich noch einmal eine spiele, dann muß diese Nutte, wenn sie ihren Beruf an den Nagel hängt, Präsident der Vereinigten Staaten werden.“ Ab Mitte der achtziger Jahre trat für Shirley MacLaine der Film in den Hintergrund. Sie schrieb weitere Bücher und veranstaltete spirituelle Seminare.

Nach zehn Jahren Seelensuche reizte sie der Glamour der Filmwelt erneut. Sie ging mit einer One-Woman-Show auf Europatournee, ganz im großen Stil ihrer Freunde, der „Typen mit den protzigen Ringen am kleinen Finger“, Frank Sinatra und Dean Martin. Vermutlich überrascht sie ihr Publikum weiter mit Widersprüchlichkeiten, gemäß einer Erkenntnis ihres Entdeckers Hal B. Wallis. „Diese Frau häutet sich wie eine Schlange, ist zäh wie eine Katze, zu Zeiten sanft wie ein Reh und aalglatt. Wenn einer glaubt, er hat sie im Netz, schwimmt sie längst in einem fremden Gewässer.“

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