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Berlin, Filme etc.Rotester Teppich aller Zeiten

■ Tristesse und Investorenträume: Das Bild von Berlin im Film

Die Broschüre zur Berlinale 2000: Auf 60 Seiten Werbung für den Standortwechsel. Warme Worte zwischen erdfarbenen Arkaden, selbst der Stadtplan wurde geliftet: Friedrichstraße und Wittenbergplatz liegen nun gleich weit vom Potsdamer Platz entfernt. Moritz de Hadeln schwärmt, daß „den Stars der längste rote Teppich aller Zeiten ausgerollt“ wird, und auch Ulrich Gregor hat keine Bauchschmerzen mehr wegen des Umzugs, weil sich „mit dem Forum, dem Kino Arsenal und dem Filmhaus der Potsdamer Platz zum Zentrum der Filmkultur entwickeln wird“. Demnächst gibt es Brakhage, Koepp oder chinesische Parteigegner im Sony-Center.

Während sich die Festivalleitung auf die neue Mitte der Berliner Republik geeinigt hat, hinken vor allem die jungen FilmemacherInnen hinterher. Bei ihnen ist immer noch Baustelle, wo andere längst vermieten. Überhaupt scheint sich das Lebensgefühl der „Generation Berlin“ eher im „Tatort“, bei „Lola rennt“ oder auf Sat.1 abzubilden als unter Vertretern aus dem sogenannten Off.

Statt dessen haben auf der letzten West-Berlinale Thomas Arslan und Angela Shanelec nachdrücklicher noch als zu Zeiten der Mauer gezeigt, wie Berlin einem Eiskristall am Fenster ähnlich erstarrt ist. Arslan hat für „Dealer“ den strengen Aufbau der griechischen Tragödie auf die Situation eines jungen türkischen Drogenhändlers übertragen. Wie Statuen stehen seine Protagonisten an Kreuzberger Ecken herum, um Stoff zu verkaufen. Die kühle Unbeweglichkeit in emotionalen Fragen ist der Szene angemessen.

Doch in der Inszenierung vor der Kamera erwächst daraus auch eine großstädtische Atmosphäre, in der sich Berlin enorm vom abgewrackten London aus Mike Leighs „Naked“ oder Hanif Kureishis fröhlicher Drogen- WG-Idylle in „London kills me“ unterscheidet. Die Reglosigkeit in „Dealer“ ist für Arslan ein Bild „des mentalen Zustands“ seines Helden, der weiß, daß er scheitern muß. Ebenso ausweglos schwebt die Kamera an Grafitti-Wänden und Betonburgen vorbei oder starrt auf die Brachen an der Köpenicker Straße.

Anders als bei Arslan findet Shanelecs Film „Plätze in Städten“ den Widerspruch zum neuen Berlin nicht in Kreuzberg, sondern an der Peripherie. Die öden Schlafsilos am Stadtrand von Lankwitz oder Lichterfelde sind doppelt abgetrennt. Stets sieht man sie durch ein Fenster, vor dem die schweigsame Abiturientin Mimmi sitzt und doch nur in sich selbst hineinzuschauen versucht. Die Berliner Tristesse wechselt sich irgendwann mit Straßenszenen aus Paris ab, doch auch dort gibt es für Mimmi keine Orientierung. Flüchtig sucht sie ein bißchen Sex mit einem jungen Franzosen und wird dabei schwanger. So wie ihr Leben gleiten minutenlang auch die Bilder vorbei, ohne daß etwas passiert. Nach der Premiere war ein Besucher erleichtert, daß hier einmal nicht „das Leben auf der Überholspur“ gezeigt wurde.

Dagegen ist „killer. berlin. doc“ von Bettina Ellerkamp und Jörg Heitmann schnell. Autos rasen im Zeitraffer am Alexanderplatz vorbei, Menschen krabbeln ameisenartig die Neubauten am Potsdamer Platz entlang. Alles scheint dem idealen Berlinbild zu entsprechen, jede Einstellung strotzt von einer visuellen Dynamik, die sich die Bauherren für Mitte wünschen. Tatsächlich ist „killer. berlin. doc“ aber ein Spiel mit tödlichem Ausgang. Ohne sich zu kennen, gehen zehn Kandidaten auf Menschenjagd, so daß sie nach wenigen Minuten zwischen lauter urbaner Geschäftigkeit aufeinander lauern.

Aus dieser fiktiven Zuspitzung erzählt der Film ihre Biografien. Die meisten sind nach Berlin gekommen, um im Osten das Leben der neuen Bohème zu leben. Doch diese Seifenblase ist mit dem Umbau der Stadt zerplatzt, noch in den kleinsten Clubs spürt man den Existenzdruck. Insofern ist das „Spiel“ ein desillusionierter Blick auf Nachwende-Utopien: Aus HausbesetzerInnen und WGs sind Kreativkräfte für die Dienstleistungsmetropole geworden. Sie werden im Filmfest-Reader als Gewinn verbucht: „Mit Perestroika und Mauerfall kommen die Menschen wieder. Städteplaner, Arbeiter, Künstler, Geschäftsleute“. In dieser Reihenfolge verwandelt sich Berlin dem Jahr 2000 an. Harald Fricke

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