Kommentar: Eskalation
■ Nach den tödlichen Schüssen steht Berlin mitten im Geschehen
War diese Entwicklung abzusehen? Nach dem friedlichen Ende der Besetzung des griechischen Konsulats am Dienstag abend schienen die Zeichen noch auf Deeskalation zu stehen. Dank der Vermittlung der bündnisgrünen Abgeordneten Cem Özdemir und Christian Ströbele verließen die kurdischen Besetzer das Konsulatsgebäude, die Polizei verzichtete auf Festnahmen.
Die Zurückhaltung der Polizei hatte ihren Grund nicht zuletzt darin, eine Eskalation des Konflikts zwischen Kurden und Türken in Berlin zu vermeiden. Anders als Hamburg, Köln oder zahlreiche Städte in Süddeutschland blieb Berlin bislang von schweren Ausschreitungen verschont. Selbst Brandanschläge auf türkische Einrichtungen blieben bei der letzten Anschlagswelle in Berlin die Ausnahme. Beinahe schien es, als wäre der Berliner Alltag vielen Türken und Kurden näher als die Auseinandersetzung in einem Land, das für viele schon lange nicht mehr das Heimatland ist.
Seit gestern hat sich die Situation allerdings entscheidend geändert. Mit den tödlichen Schüssen in dem israelischen Konsulat rückt nicht nur eine politische Lösung des türkisch-kurdischen Konflikts in weite Ferne, sondern Berlin auch in seinen Mittelpunkt.
Nun wird man trefflich darüber streiten können, ob die Besetzer des israelischen Konsulats, die selbst nach den Schüssen die Arme zur Siegerpose erhoben, den tödlichen Ausgang in Kauf genommen haben oder „nur“ ein weiteres Konsulat besetzen wollten. Den Besetzern aber die Verantwortung für die tödlichen Schüsse zuzuschieben, wäre nicht nur zynisch, sondern hieße auch, die Augen davor zu verschließen, daß bislang drei Tote und sechzehn Schwerverletzte nicht gerade ein Indiz für bloße Notwehrhandlungen sind. Auch die israelischen Sicherheitskräfte wußten, daß die gestrige Besetzung nicht mit den Anschlägen auf die israelischen Botschaften 1992 in Buenos Aires oder 1994 in London zu vergleichen war, daß es sich bei ihrem Gegenüber nicht um bewaffnete Mitglieder der Hamas, sondern um mit Schlagstöcken „bewaffnete“ Kurden handelte. Die Eskalation auf Berliner Boden haben die israelischen Sicherheitskräfte deshalb zum größten Teil mitzuverantworten. Uwe Rada
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