: Bomben in Taschkent für das Kalifat?
■ Nach mehreren Anschlägen in der usbekischen Hauptstadt verdächtigt der autoritäre Präsident Karimow einheimische Islamisten
Berlin (taz) – Daß Islam Karimow nicht überall im Land populär ist, dürfte er gewußt haben. Seit Dienstag hat der autoritäre Präsident Usbekistans es sozusagen schriftlich: Binnen 45 Minuten gingen im Zentrum der Hauptstadt Taschkent fünf Autobomben hoch, zerstörten mehrere Gebäude, töteten mindestens neun Menschen und verfehlten ihn selbst nur, weil er etwas zu spät zu einer Kabinettssitzung erschien. Eine sechste Ladung detonierte am Flughafen. Die wohl aufeinander abgestimmten Anschläge waren die ersten derartigen Vorfälle, seit die mittelasiatische ehemalige Sowjetrepublik 1991 in die Unabhängigkeit stolperte.
Präsident Karimow, der die Anschläge sofort auf sich persönlich bezog, war schnell mit einer Schuldzuweisung bei der Hand: Islamistische Terroristen seien dafür verantwortlich. Er wolle ihnen dafür „die Hand abschneiden“. Innenminister Zakir Almatow sagte, usbekische Bürger seien unter den Verantwortlichen, aber auch die Hilfe auswärtiger Kräfte könne nicht ausgeschlossen werden. Bereits Ende Dezember hatten Bewaffnete einen Posten an der Grenze zu Turkmenistan angegriffen und je drei Grenzpolizisten beider Länder erschossen.
Am 3.Februar erklärte Karimow in einem Interview, eine in Usbekistan bisher unbekannte, finanzkräftige „Hesbi Tahriri Islamiya“ (Islamische Befreiungspartei) bedrohe die Sicherheit im Land. Sie wolle alle Grenzen zwischen den islamischen Ländern beseitigen und ein „Islamisches Kalifat“ errichten. Eine Partei gleicher Bezeichnung und Ideologie war Anfang der 50er Jahre in Jordanien gegründet worden und hatte – als Schwester der bekannteren Muslimbruderschaft – Ableger in vielen islamischen Staaten gegründet. Ende letzter Woche wiederholte Karimow: „Usbekistan wird niemals ein Scharia-Staat sein.“
Nachdem im vorigen Jahr in Namangan, einer Stadt im unruhigen Ferghana-Tal, vier Polizisten ermordet worden waren, hatte Karimow zunächst Pakistan beschuldigt, dort würden junge Mittelasiaten im Terrorhandwerk unterwiesen. Außenminister Abdulasis Kamilow machte dafür Islamistengruppen verantwortlich. Ihr Ziel sei, in Usbekistan „terroristische Akte durchzuführen, traditionelle Werte des Islam zu unterminieren, gegen die verfassungsmäßige Ordnung vorzugehen und islamische Staaten auf dem Territorium Mittelasiens zu bilden.
Im Sommer 1998 begann in Usbekistan eine Prozeßwelle gegen 51 Beteiligte an den Vorfällen von Namangan. Ein Angeklagter wurde zum Tode, andere zu Haft zwischen zwei und 15 Jahren verurteilt. Das letzte Verfahren endete am 8. Januar in Taschkent. Die Unabhängige Menschenrechtsorganisation Usbekistans meinte, alle Anklagen seien „fabriziert“ worden. Auch Human Rights Watch aus den USA warf den usbekischen Behörden vor, die Vorfälle von Namangan zur „unterschiedslosen Verfolgung“ aller Muslime zu nutzen. Besonders im Ferghana-Tal ging die Regierung auch gegen regierungskritische Geistliche vor, die ihre Unterordnung unter die staatliche Oberaufsicht ablehnen.
Im August 1995 wurde ein Moscheevorsteher mit seinem Gehilfen auf dem Flughafen von Taschkent verhaftet, beide sind seither verschwunden. Seit 1992 gibt es keine Nachrichten über Abdullah Utajew, Vorsitzender der niemals zugelassenen usbekischen Partei der Islamischen Wiedergeburt. Deren tadschikischer Ableger wurde dort gerade in die Regierung integriert, was die Taschkenter Regierung ebenso besorgt registriert wie die Erfolge der Taliban. Die lokalen Islamisten sind nicht Karimows einzige Feinde. Vor wenigen Tagen brüskierte er Moskau, als er seinen Austritt aus dem GUS-Sicherheitspakt bekanntgab. Zudem sind die Beziehungen zu Tadschikistan gespannt, das Karimow beschuldigte, 1997 und 1998 mehrere Armeemeutereien gegen die Versöhnung mit der islamischen Opposition unterstützt zu haben. Thomas Ruttig
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen