: „Die Türkei muß politische Änderungen angehen“
■ Christoph Zöpel, außenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zu den Folgen der Festnahme Öcalans
taz: Herr Zöpel, war es ein Fehler, daß die Bundesregierung nicht auf einer Auslieferung bestanden hat, als der PKK-Führer Öcalan in Rom festsaß?
Christoph Zöpel : Im Nachhinein ist die Frage natürlich berechtigt. Allerdings, wenn Öcalan ausgeliefert worden wäre und es hätte vergleichbare Demonstrationen von Kurden gegeben, dann wäre doch der überwiegende Teil der öffentlichen Meinung über die Bundesregierung hergefallen. Es wäre sicher konsequenter, wenn die Bundesregierung in der eigenen Rechtsstaatslogik geblieben wäre.
In Deutschland hätte Öcalan ein rechtsstaatliches Verfahren erwarten können. Das ist doch in der Türkei recht fragwürdig.
Was in der Türkei passiert, ist offen. Die ersten Signale sind nicht sehr hoffnungsvoll. Die Anwälte wurden wohl nicht zu Öcalan vorgelassen. Alle Mitgliedstaaten der EU müssen die Türkei daran erinnern, welche internationalen Konventionen, vor allem zur Menschenrechtsfrage, sie unterschrieben hat.
Gehen Sie davon aus, daß sich die Türkei daran halten wird?
Sie wird sich daran halten müssen, wenn sie den Weg in die Europäische Union weiter gehen will.
Es besteht die Möglichkeit, daß im Verfahren Öcalan die Todesstrafe verhängt wird. Welche Auswirkungen würde ein solches Urteil haben?
Sowohl die Verhängung der Todesstrafe als auch andere Verstöße gegen die Europarats-Konvention würden den Weg nach Europa erschweren. Andererseits muß man sehen, daß eine entsprechende Reaktion der EU deren Einflußmöglichkeit auf die Türkei verringert. Das Lockmittel ist die Mitgliedschaft. Wenn es entfällt, entfällt eine Handlungsmöglichkeit der EU gegenüber der Türkei. Diese Schwierigkeit muß man sehen.
Der Türkei würde also bei einem Verstoß mit dem Einfrieren der Beziehungen auf den Status quo gedroht werden?
Ja. Aber das würde die Türkei nur stören, wenn sie in die EU will.
Das Verfahren gegen Öcalan spitzt das Kurdenproblem zu. Welchen Beitrag zur politischen Lösung dieses Konflikts erwartet die EU von der Türkei?
Die Situation der Menschen in Südost-Anatolien muß verbessert werden, sowohl ihre wirtschaftliche Lage als auch ihre Möglichkeiten, die kulturellen Rechte zu verwirklichen. Sie müssen ihre eigene Sprache gebrauchen können, und ihnen müssen auch andere Minderheitenrechte gewährt werden. Diese politischen Veränderungen muß die Türkei angehen, möglichst in Kontakt mit den Staaten der EU.
Das bedeutet einen autonomen Status für Kurdistan.
Ich möchte es bei meinen Worten belassen. Ich will keine Begrifflichkeiten in den Mund nehmen, die eine staatsrechtliche Definition dieses Gebietes beinhaltet.
Wird ein solcher politischer Wandel durch das Verfahren gegen Öcalan befördert oder erschwert?
Auf den ersten Blick wird es erschwert, weil die Türkei sich auf Gewalttätigkeiten einstellen wird. Deshalb ist es wichtig, daß Europa darauf drängt, daß ein rechtsstaatlicher Prozeß durchgeführt und eine politische Lösung im Lande gefunden wird, um den Konflikt einzudämmen.
Ist die Haltung der EU-Staaten einheitlich?
Es gibt lediglich geringe Differenzen. Es gibt keinen Staat, der nicht eine Ende des Konfliktes will.
Und weshalb wurde in den letzten Wochen keine Regelung des Casus Öcalan gefunden, obwohl dessen Aufenthalt doch den Beteiligten bekannt gewesen sein dürfte?
Das ist Ihre Hypothese.
Immerhin haben die EU-Botschafter noch einen Tag vor Öcalans Festnahme darüber beraten, wie ihm ein gesicherter Aufenthalt beschafft werden kann.
Ich kann nicht bestätigen oder dementieren, was sich in dieser Zeit getan hat. Das ist auch nicht die relevante Frage jetzt. Relevant ist die Frage, ob die EU hinreichenden Einfluß auf die Türkei hat, um ihre Haltung zur Menschenrechtsfrage zu befördern. In jeder Phase des Konfliktes hat sich diese Frage gestellt. Und bei der Beantwortung stößt man schneller an Grenzen, als man bei den moralisch orientierten Debatten in Europa gern wahrhaben will.
In dem ähnlich gelagerten Fall Kosovo scheinen die europäischen Einflußmöglichkeiten doch sehr viel weiter zu gehen.
Da muß man den Realitäten ins Auge sehen. Moralisch sind die Fälle gleich zu bewerten. Der Unterschied ist: Die Kraft Europas, selbst mit Unterstützung der USA, reicht, um Jugoslawien zu bedrohen. Sie reicht nicht, um die Türkei zu einer Positionsänderung zu zwingen. Hier sind die Einflußmöglichkeiten geringer.
Obwohl es sich um einen Nato- Partner handelt?
Diese Betrachtungsweise erschwert das Problem eher, anstatt es zu verringern.
Weil vor allem die USA zuviel Rücksicht auf den Nato-Partnernehmen?
Die amerikanische Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei spielt auch eine Rolle. Aber abgesehen davon muß man feststellen, daß Europa zwar stark genug ist, im Kosovo einen Konflikt am Konferenztisch zu lösen und mit eigenen Kräften auch abzusichern. Die Europäische Union hat aber schlichtweg nicht die Kraft und die Sicherheitskräfte, um den Konflikt in der Türkei zu regeln. Interview: Dieter Rulff
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