Der schwierige Spagat der britischen Muslime

■ Viele kommen aus Asien. Sie leben in Großbritannien. Sie fühlen sich als Muslime

Berlin (taz) – Seit Wochen ist er der Lieblingsschreck der britischen Medien: Imam Abu Hamza Al- Masri, Prediger an der Moschee von Finsbury Park im Norden Londons und Leiter der radikalen islamistischen Gruppe Supporters of Shariah. Mit Metallklauen statt Händen – die verlor er angeblich in Afghanistan – hat er ja auch eine photogene Ausstrahlung als Inkarnation des Bösen. „Wenn Scheich Hamzas Aussehen einschüchtert“, raunte der konservative Sunday Telegraph, „sind seine Worte noch schauriger, wenn er sanft über den Weg der Gewalt spricht, den Gott für ihn gewählt hat.“

Fünf der sechs angeblichen islamistischen Terroristen, die seit dem 26. Januar im jemenitischen Aden im Zusammenhang mit dem Tod von drei britischen Touristen und einem Australier bei der Beendigung einer Geiselnahme durch Jemens Armee vor Gericht stehen, haben britische Pässe und sind in Großbritannien aufgewachsen. Zwei von ihnen sind mit Abu Hamza verwandt. Das rückt nun alle von ihnen in die Nähe des Fanatismus.

„Während weiße Briten, die im Ausland festgenommen werden, von der Regierung unterstützt werden und auf ausländische Regierungen Druck ausgeübt wird, um sie ohne Anbetracht der Umstände des Falles freizulassen, hat sich die britische Regierung mit Hilfe für diese muslimischen Familien sehr zurückgehalten“, klagt der Muslimische Rat Großbritanniens (MCB). „Die britische Presse ignorierte die Lage der Familien, bis darauf hingewiesen wurde, daß die Frau eines der Festgenommenen eine weiße englische Konvertitin zum Islam war.“

Die Affäre wirft ein Schlaglicht auf die Lage der 1,5 bis 3 Millionen Muslime in Großbritannien. Während das einstige Mutterland des Empires mit seiner ethnischen Vielfalt kaum noch Probleme hat, tut es sich mit religiösen Definitionen schwerer. Schon die Unklarheit darüber, wie viele Muslime es im Land eigentlich gibt, ist aufschlußreich. Erstmals soll nun in der Volkszählung von 2001 nicht nur nach der ethnischen, sondern auch nach der religiösen Selbstdefinition der Bürger gefragt werden. Und ob die britischen Antidiskriminierungsgesetze auch für religiöse Diskriminierungen gelten, ist juristisch umstritten. „Das britische politische Spektrum sieht uns Ex-Koloniale als Pool billiger Arbeit und Stimmvieh“, klagte kürzlich der muslimische Aktivist Jahangir Mohammed. „Alle bestehen darauf, daß wir soziale und politische Fragen nicht mit Religion vermischen sollen; mit anderen Worten soll Islam wie das Christentum werden, eine Sache des privaten Gewissens des einzelnen.“

Daß dieser Zustand nicht für alle befriedigend ist, wurde den nichtmuslimischen Briten 1989 klar, als nach der iranischen Fatwa gegen den indischstämmigen Schriftsteller Salman Rushdie auch unter britischen Muslimen massive Proteste gegen Rushdies Roman „Satanische Verse“ begannen, mit Aufmärschen und Bücherverbrennungen. Für viele Muslime der britischen Industriestädte, in der Mehrheit Einwanderer aus Pakistan, Bangladesch und Indien, bedeutete dies die Wendung weg von einer asiatischen hin zu einer muslimischen Identität.

In Folge der Rushdie-Affäre gründete der Religionswissenschaftler und Leiter des britischen Muslimischen Instituts, Dr. Kalim Siddiqui, am 4. Januar 1992 ein „Muslimisches Parlament“. Er sah dies als „nichtterritorialen islamischen Staat“, um separat vom britischen Wohlfahrtsstaat besondere Dienstleistungen für Muslime in einer nichtislamischen Umgebung zu organisieren.

Siddiqui starb 1996, aber das Parlament gibt es noch, wenngleich es von Kritikern inzwischen als völlig gescheitert bezeichnet wird. Wie auch andere muslimische Gruppen ist es nach außen inzwischen von britischen Konvertiten zum Islam dominiert – sein Vizeführer heute ist ein 62jähriger Schotte, der seit seinem Übertritt zum Islam im Alter von 14 Jahren Yaqub Zaki heißt. Auch die Islamische Partei Großbritanniens wurde 1989 von einem britischen Konvertiten gegründet. Als Labour 1997 die Wahlen gewann, schrieb diese Partei Tony Blair einen Glückwunschbrief – und war über die Antwort höchst empört. „Ihr Brief an den Premierminister wurde zwecks Antwort an das Innenministerium weitergeleitet, weil dieses Ministerium für Einwanderungsfragen zuständig ist“, schrieb da eine Frau McCluskey von der britischen Einwanderungsbehörde und ließ die Gratulanten wissen: „Die Regierung ist strengen Einwanderungskontrollen verpflichtet.“ Es folgte ein weiterer Briefwechsel, der mit einer Entschuldigung des Innenministeriums endete.

Solche Mißverständnisse sind bezeichnend für den Spagat der muslimischen Gemeinschaft Großbritanniens, die eigentlich überhaupt nicht homogen ist. Britische Konvertiten, pakistanischstämmige Familien und jemenitische Einwanderer haben miteinander wenig zu tun. So betonen die wichtigsten muslimischen Institutionen Großbritanniens die religiöse Identität getrennt von der ethnischen. Der Muslimische Rat betreibt Lobbyarbeit bei der Regierung über rechtliche Probleme. Ein „UK Islamic Education Waqf“ sammelt private Gelder zur Förderung mittlerweile 48 islamischer Schulen.

Etwa die Hälfte der britischen Muslime ist in Großbritannien geboren und aufgewachsen und genießt volle staatsbürgerliche Rechte. Sie regen sich am ehesten über negative Pauschalurteile über Muslime in den britischen Medien auf oder über die schlechte soziale Lage muslimischer Einwanderer. Nach Angaben des Aktionskomitees für Islamische Angelegenheiten (Ukacia) liegt die Arbeitslosigkeit unter Großbritanniens Pakistanis und Bangladeschis bei nahe 40 Prozent.

Die Perspektivlosigkeit vieler asiatischer Jugendlicher läßt allerdings das Feld für solche Gruppen offen, die sich mit Großbritannien nicht identifizieren wollen. Die Supporters of Shariah sind da nur die derzeit sichtbarste einer Reihe von Organisationen, die in London und Birmingham sowie den nordenglischen Industriestädten beheimatet sind.

Schon in den achtziger Jahren formierten sich hier bewaffnete Selbstverteidigungsgruppen gegen rassistische Angriffe. Aus diesen gingen dann in den 90er Jahren auch zuweilen Kämpfer für den Krieg in Bosnien hervor. Heute erregt die britische Beteiligung am Krieg der USA gegen den Irak die Gemüter und stachelt manche offenbar auch zu Aktionen wie im Jemen an. Dominic Johnson