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„Den Druck verstärken“

■ Heute werden in Brüssel die Agrarminister von 40.000 Bauern empfangen. Gerd Sonnleitner, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, über die EU-Reform und die Taktik der deutschen Landwirte

taz: 40.000 Bauern, teilweise samt Treckern, werden sich vor dem EU-Gebäude in Brüssel versammeln. Warum sind die Bauern gerade jetzt bedroht?

Gerd Sonnleitner: Wir haben schon Jahrzehnte einen rasanten Strukturwandel. Mitte der 70er Jahre wurden sogar mehr Höfe aufgegeben als jetzt. Aber damals gab es attraktive Arbeitsplätze im ländlichen Raum als Alternative. Das Brutale ist heute, und das erzeugt den gewaltigen Druck auf die Bauern: Im Gegensatz zu den 70ern liegen heute die Einkommen in der Landwirtschaft 30 Prozent unter denen im Gewerbe. Und wir haben vier Millionen Arbeitslose.

Greifen Sie mit den Agrarministern nicht die Falschen an – schließlich verlangen die Finanzminister die Kürzungen?

Auch auf die Finanzminister werden wir den Druck verstärken. Es wird zwar die ungerechte Lastenverteilung in der EU beklagt – Deutschland ist ja auch der größte Nettozahler der Union –, aber bei den bisherigen Vorschlägen zur Agenda 2000 werden nur die Agrarausgaben runtergebracht. Gerade der deutsche Finanzminister Oskar Lafontaine hat doch anerkannt, daß es auch bei der Globalisierung gewisse Mindeststandards geben muß. Die europäische Landwirtschaft hat hohe Standards beim Umweltschutz, sie hat höhere Auflagen beim Tierschutz und höhere Arbeitskosten als anderswo. Das muß sich in den Preisen niederschlagen. Da können sie nicht bei Milch, Getreide und Rindfleisch die Zahlungen um 15 bis 30 Prozent reduzieren, wie es die EU-Kommission vorsieht.

Mit solchen Forderungen haben Sie bei der neuen Koalition in Bonn doch eher schlechte Karten. Schließlich ist Rot-Grün weit weniger als die Union mit den Stimmen der Bauern gewählt worden.

Mit der derzeitigen Koalition ist es etwas schwieriger, das stimmt. Aber Landwirtschaftsminister Funke bemüht sich sehr. Wenn natürlich Bundeskanzler Schröder schon vor den Verhandlungen sagt, Deutschland wolle die Agenda zügig verabschieden, macht er sich erpreßbar.

Aber die Bauern erzeugen doch nur noch ein oder zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Wie könnten sie sich da durchsetzen?

Die Agrarwirtschaft geht weit über die Landwirtschaft hinaus. Die Branche Ernährung, Land- und Forstwirtschaft setzt zusammen im Jahr 900 Milliarden Mark um. Deswegen werden wir politisch auch immer stärker mit der Ernährungswirtschaft und der Gewerkschaft Nahrung, Genuß, Gaststätten zusammenarbeiten. Der ganze Sektor ist sich einig in der negativen Bewertung der Agenda. Die Arbeitsplätze bei Mittelständlern wie Schlachthöfen oder den Handwerkern auf dem Land sind gekoppelt mit der Landwirtschaft.

Also werden die Bauern nicht vergebens nach Brüssel fahren?

Bei den Verhandlungen ist alles möglich – noch dazu, wo Frankreich mit einem Veto gegen den deutschen Vorschlag der Kofinanzierung gedroht hat.

Die Steuerzahler zahlen also weiter Agrarsubventionen?

Eine Familie in Deutschland muß derzeit nur etwa 14 Prozent ihres Einkommens für die Ernährung ausgeben. Das leistet das bisherige System.

Aber wenn die Garantiepreise für die Bauern um 30 Prozent sinken, wird's doch noch günstiger?

Bei dem geringen Anteil der Rohstoffpreise am Endprodukt? Da verteuert zum Beispiel die geplante Ökosteuer die Lebensmittel mehr, als sinkende Getreide- oder Rindfleischpreise sie verbilligen würden. In Bereichen wie den Tarifverhandlungen in der Metallindustrie wird von einer Teilhabe an den guten Profiten geredet. Bei uns Bauern aber wird nur über ein Minus dikutiert. Das ist es auch, was die Stimmung unter den Bauern so verschlechtert.

Vor zehn Tagen bei den Protesten der Landwirte vor dem Europäischen Parlament in Straßburg waren nur Bauern zu sehen. Wo bleiben die Bäuerinnen?

Die schicken in der Masse die Männer vor. Auch in Brüssel wird es eventuell etwas rauher. Da schonen wir unsere Frauen. Interview: Reiner Metzger

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