: Nach der Frist ist vor der Frist
■ Serben und Albaner werden bis heute kein Abkommen erzielen. Dafür wachsen die Differenzen in der Kontaktgruppe
Rambouillet (taz) – Die für heute 15 Uhr gesetzte „letzte“ Frist der Balkankontaktgruppe für eine Einigung bei den Kosovo-Verhandlungen in Rambouillet wird voraussichtlich ebenso ergebnislos und zunächst ohne Konsequenzen für die beiden Konfliktparteien verstreichen wie die „letzte“ Frist. Darauf deuten alle Entwicklungen des gestrigen Tages. Zwar wird die Kontaktgruppe die Frist voraussichtlich nicht noch einmal formell verlängern. Doch ist für heute mit Entwicklungen zu rechnen – wie einem Angebot aus Belgrad in letzter Minute –, die die Differenzen in der Kontaktgruppe noch vertiefen und neue Beratungen ihrer Mitglieder erfordern dürften. In Rambouillet gab es gestern keine erkennbaren Fortschritte. Neben den drei Vermittlern der USA, Rußlands und der EU bemühte sich auch US-Außenministerin Madeleine Albright vergeblich um die Zustimmung der Konfliktparteien zum Autonomieabkommen der Kontaktgruppe für den Kosovo. Nach Rückkehr von einem Gespräch mit dem restjugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević am Sonntag in Belgrad lehnte Serbiens Ministerpräsident Milan Milutinović die Stationierung von Nato-Truppen im Kosovo zur Absicherung eines Autonomieabkommens erneut ab. Die Kosovo-Albaner bestanden weiter darauf, im politischen Teil des anvisierten Abkommens ein Referendum festzuschreiben über die Provinz nach einer dreijährigen Übergangsphase. Ein Vertreter der Kosovo-Befreiungsbewegung UCK erklärte aber gegenüber der taz, das Referendum sei „kein Essential“. Viel wichtiger sei, daß die UCK nach Vereinbarung eines Abkommens ihre Waffen behalten könne und sich nicht auflösen müsse. Denn, so der UCK-Vertreter „ohne eigene bewaffnete Streitkräfte könnten die Kosovo-Albaner das Ergebnis eines Referendums kaum durchsetzen“.
Albrights Verhandlungsstrategie ist es, die Kosovo-Albaner zur Zustimmung zu bewegen. Nur dann werde es – Belgrads „Nein“ vorausgesetzt – zu Luftangriffen der Nato auf militärische Ziele in Serbien kommen, erklärte James Rubin, der Sprecher der US-Außenministerin. Doch selbst für diesen Fall sahen Diplomaten europäischer Kontaktgruppenstaaten gestern „keinen militärischen Automatismus“.
Noch deutlicher äußerte sich Rußlands Außenminister Iwanow. Er lehnte Nato-Luftangriffe ab und forderte für die Stationierung einer internationalen Friedenstruppe im Kosovo nicht nur die Zustimmung Belgrads, sondern auch des UNO-Sicherheitsrates. Die Differenzen in der Kontaktgruppe dürften zunehmen, sollte Milošević heute einen neuen Vorschlag unterbreiten. Möglicherweise wird er vorschlagen, statt Nato-Streitkräften im Kosovo eine UNO-Truppe oder Verbände im Rahmen der OSZE zu stationieren. Ein solcher Vorschlag stieße zwar bei den USA sowie Großbritannien auf Ablehnung, bei Rußland jedoch auf Zustimmung. Frankreich, Italien sowie möglicherweise Deutschland dürften darin die Basis für weitere Diskussionen mit Belgrad sehen. Die EU- Außenminister stellten Milošević für den Fall einer Einigung eine Lockerung der Sanktionen in Aussicht. Die Kosovo-Albaner sollen in den ersten drei Jahren nach Unterzeichnung eines Abkommens Wirtschaftshilfe in Höhe von knapp eine Milliarde Mark erhalten. Andreas Zumach
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen