: „Die PKK muß sich auflösen“
■ Mit Strafnachlaß will der türkische Ministerpräsident Ecevit die PKK-Kämpfer zum Aufgeben bewegen. Der Schriftsteller Günter Wallraff und der grüne Europapolitiker Ozan Ceyhun äußern sich skeptisch über die neue Kurdenpolitik der türkischen Regierung
taz: Was haben Sie bei der Nachricht über das Kidnapping Abdullah Öcalans empfunden?
Günter Wallraff: Bestürzung über die verpaßte Chance, Öcalan vor einem internationalen Gerichtshof zur Rechenschaft zu ziehen und die Verantwortung türkischer Militärs und Politiker zu thematisieren. Als ich die demütigenden Fotos der türkischen Behörden sah, empfand ich tiefstes Mitgefühl, obwohl ich zu Öcalans schärfsten Kritikern gehöre.
Ozan Ceyhun: Ich war enttäuscht. Es wäre besser gewesen, wenn Öcalan illegal in die Bundesrepublik eingereist wäre und hier einen rechtsstaatlichen Prozeß bekommen hätte. Nur so hätte sich der Kurdenkonflikt vernünftig lösen lassen.
Sie bezeichnen Öcalan als stalinistischen Diktator. Nun befindet er sich in den Händen des türkischen Staates, dem Sie nicht allzuviel Rechtsstaatlichkeit zutrauen. Brauchen wir jetzt Komitees „Gerechtigkeit für Öcalan“?
Wallraff: Nein. Wir werden mit Öcalan noch unser blaues Wunder erleben. Er wechselt schnell die Fronten. Aus Italien hat er bereits seine Anhänger als Militante beschimpft, die die Morde begangen hätten. „Wenn Sie mir die Gelegenheit geben würden, würde ich ihnen gerne dienen“, dieser an die türkische Regierung gerichtete Satz, den er nach seiner Festnahme wahrscheinlich unter Drogeneinfluß sagte, kann schnell Wirklichkeit werden. Es geht nun darum, Bewegung in die kurdische Sache zu bringen.
Wie soll das geschehen?
Wallraff: Zunächst muß sich die PKK auflösen. Ausgespielt haben auch die Leute, die sich Öcalans Führerkult gebeugt haben und zu reinen Befehlsempfängern geworden sind. Da müssen neue Persönlichkeiten ran, um die Erstarrung aufzubrechen.
Ist die Strategie, das Kurdenproblem militärisch zu lösen, aufgegangen? Wie geht es weiter?
Ceyhun: Die Türkei wollte Öcalan immer haben – jetzt haben sie ihn. Wenn die Türkei wirklich ein Interesse an einer Friedenslösung hätte, dann müßte sie sich jetzt Gedanken machen, was mit den inhaftierten Funktionären der prokurdischen Partei Hadep geschehen soll. Das Hadep-Verbot wäre aufzuheben, und man müßte Hadep die Möglichkeit geben, an der April-Wahl teilzunehmen. Das wäre eine Chance, das Problem von einer militärischen auf die parlamentarischen Ebene zu heben.
Wie glaubwürdig sind die Ankündigungen Ecevits, die jungen PKK-Kämpfer könnten von den Bergen kommen und würden nur milde bestraft werden?
Wallraff: Bislang hatten Ex- PKKler nur die Gelegenheit, zum Verräter zu werden, andere zu belasten. Erst dann bekamen sie Strafmilderung. Wenn sie nicht dazu bereit waren, wurden sie gefoltert. Eine neue Kurdenpolitik muß erst mal unter Beweis stellen, daß sich der Staat souverän zeigt und das Problem an der Wurzel angeht. Solange die Türkei eine Politik der Härte betreibt, kann nur versucht werden, über die EU eine Kurdenkonferenz herbeizuführen – notfalls auch ohne die Türkei.
Haben Europa und Deutschland durch ihre Vogel-Strauß-Politik gegenüber dem Problem Öcalan nicht die Chance verspielt, zu intervenieren?
Ceyhun: Die EU hat keine gemeinsame Nahostpolitik, keine Mittelmeer-Politik und auch keine gemeinsame Türkei-Politik. Mittlerweile denke ich, wenn ich mit den USA eine Chance habe, dann sollte ich als Europäer die USA unterstützen, wenn es so gelingt, im Nordirak, in der Demokratiefrage der Türkei und der Kurdenfrage Erfolge zu erzielen. Wenn wir alle einig sind, daß wir als Europäer versagt haben, dann sollten wir uns jetzt mit den USA gemeinsam Gedanken machen und versuchen, die nach unserer Auffassung nicht ganz korrekte amerikanische Politik europäisch zu korrigieren.
Wallraff: Die Frage ist, ob dies im Interesse der USA ist oder ob sie nicht doch wegen der Nato- Stützpunkte interessiert sind, der Türkei zu Gefallen zu sein...
Ceyhun: ...oder wegen Irak...
Wallraff: ... natürlich. Eine Initiative sollte vor allem von den skandinavischen Staaten ausgehen, in der dann die anderen EU- Staaten eingebunden werden müßten. Zumal der amerikanische Geheimdienst in diese gegen das Völkerrecht verstoßende Entführung verwickelt ist. An so einen Verhandlungstisch gehörten auch Flamen, Wallonen, Katalanen, Südtiroler, die unter Beweis stellen könnten, welche historischen Möglichkeiten es gibt, als Minderheit anerkannt zu werden. Die Türkei muß endlich begreifen, daß ein Ende des Krieges dem Land etwas bringt. Er kostet 40 Prozent des Haushalts, das Land ist am Ende und große Teile der Bevölkerung verelendet.
Bleibt das Problem des türkischen Militärs ...
Wallraff: Das Militär ist in seine Schranken zu verweisen. Sie brauchen diesen Bürgerkrieg für ihre Vormachtstellung. Und über ihn laufen auch die Drogengeschäfte. An erster Stelle haben türkische Diplomaten und Militärs diese Geschäfte betrieben, aber auch kurdische Regionalfürsten und Feudalherren gemeinsam mit der PKK.
Die PKK hat angekündigt, ihre Gewaltaktionen in Europa ganz einzustellen. Bedeutet das das Ende der Krawalle?
Ceyhun: Auf jeden Fall ist es ein Signal. Offenbar haben einige in der PKK-Führung gemerkt, daß man damit hier nichts erreicht. Die PKK-Führung kann von den türkischen Faschisten der „Türk Federasyon“ etwas lernen. Die sind straff organisiert. Und egal, was man gegen sie unternimmt, sie bleiben ruhig und lehnen Gewalt ab, weil sie kapiert haben, daß man damit in Europa nichts erreicht.
Wie groß ist der Schaden der gewalttätigen PKK-Aktionen für die integrationspolitische Diskussion in Deutschland?
Wallraff:Er ist immens. Man kann kaum mehr einen Unterschied zwischen Bundesinnenminister Schily und seinem bayrischen Kollegen Beckstein feststellen. Schily ist Kanther verdammt ähnlich geworden und vertritt dessen Positionen, wenn er nur „Härte“ verlangt, „schärfstes Vorgehen“ und „mit aller Schärfe des Gesetzes“. Da gibt es kein Nachdenken mehr, kein Einfühlungsvermögen und auch keine Analyse. Die zivile Gesellschaft wird unter tatkräftiger Mithilfe der PKK aufgemischt.
Ceyhun: Die gewaltsamen Proteste, so gut man sie verstehen mag, haben bezüglich der Ablehnung der Reform des Staatsbürgerrechtes mehr erreicht als die Unterschriftenkampagne der Union. Es wird noch schwerer werden, sich für eine menschliche Asyl- oder überhaupt für Integrationspolitik einzusetzen.
Wallraff: Diejenigen, die das Ganze befehligen und die Aktionen steuern, die machen das nicht von Deutschland aus. Das läuft über die Zentrale in Brüssel. Das alles hat nichts mit der doppelten Staatsbürgerschaft zu tun, das sind völlig getrennte Geschichten. Im übrigen würde jedes PKK- Mitglied gerne die türkische Staatsbürgerschaft ablegen.
Werden die Grünen nach den Krawallen und der Hessen-Wahl von weiteren intergrationspolitischen Positionen zurücktreten?
Ceyhun: Sie müssen entscheiden, ob sie ihre Konzeption für vernünftig halten und deswegen Mehrstaatlichkeit für die Ausländer wollen, die eigentlich schon Inländer geworden sind. Oder sie entscheiden sich für eine Ausländerpolitik, die schwer von der der FDP zu unterscheiden sein wird.
Ist der Marktwert türkischer Abgeordneter gesunken?
Ceyhun: Ich werde in 15 Tagen als einziger nichtdeutscher Kandidat meiner Partei bei der Kandidatenaufstellung zu den Europawahlen feststellen, in welche Richtung die Reise geht. Einige Parteikollegen meinen, daß ein türkischstämmiger Abgeordneter jetzt nicht opportun sei. Da kann ich nur sagen: Ich will nicht gewählt werden, weil ich nichtdeutscher Herkunft bin, sondern wegen meiner Kompetenz als Politiker.
Interview: Ö. Erzeren, E. Seidel- Pielen, R. Rossig
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