: EU-Bauern: Rettet unsere Fleischberge!
■ Während die EU-Landwirtschaftsminister über die Agrarreform verhandeln, legen 40.000 Bauern Brüssel lahm. Mit Eiern und Kartoffeln protestieren sie gegen die geplante Aufhebung der Garantiepreise für ihre Produkte
Berlin (taz) – Zu Beginn der Verhandlungen über die EU-Agrarreform zogen gestern 40.000 Bauern durch die Straßen Brüssels. Da die Polizei das Europaviertel in der belgischen Hauptstadt jedoch bereits am Wochenende mit spanischen Reitern und Stacheldraht hermetisch abgeriegelt hatte, gelang es ihnen nicht, zu den Politikern vorzudringen. Statt dessen griffen sie mit Mistgabeln die Polizisten an, die Bauern rissen Straßenschilder und Bäume aus und warfen mit Eiern und Kartoffeln. Die Polizei reagierte mit Tränengas und Wasserwerfern.
„Agenda 2000 – Zukunft oder Tod?“ und „Hiroshima – Tschernobyl – Agenda 2000“ stand auf den Plakaten, mit denen die Bauern ihre Existenzängste ausdrückten. Ein Skelett sollte das nahe Ende der europäischen Landwirtschaft symbolisieren. Im Europaviertel blieben Geschäfte, Schulen und Restaurants aus Angst vor gewaltsamen Auseinandersetzungen geschlossen. U-Bahn-Stationen waren nicht mehr zugänglich.
Bis Mittwoch dieser Woche wollen sich die Landwirtschaftsminister der EU auf ein erstes Kompromißpapier zur Agrarreform einigen, das Grundlage für den Sondergipfel der Union am Freitag in Bonn sein soll. Am Wochenende waren die Außenminister der Gemeinschaft auf der Flucht vor den in Brüssel erwarteten Bauern bereits in Luxemburg zu einem „Konklave“ zusammengekommen. Dabei sollen einige EU-Kollegen gegen die Kompromißvorschläge des deutschen Ratspräsidenten Joschka Fischer heftig protestiert haben. Die Chancen für eine Annäherung im Streit um die Agrarreform werden als gering eingeschätzt.
Die Deutschen wollen versuchen, eine Neuordnung durchzusetzen, bei der sie am Ende weniger als bisher in die EU-Kasse einzahlen. Unter anderem wollen sie darauf dringen, daß die nationalen Haushalte sich an den Agrarsubventionen beteiligen müssen. Länder wie Deutschland, die ohnehin wenig Subventionen bekommen, wären dadurch finanziell im Vorteil. Frankreich und Spanien erhielten dann weniger Geld aus Brüssel als bisher und müßten viel zuschießen. Besonders die Franzosen wehren sich vehement gegen die deutschen Kofinanzierungspläne.
Die Bauern gehen auf die Straße, weil die Garantiepreise für landwirtschaftliche Produkte im Rahmen des geplanten Reformpakets Agenda 2000 bis zu 30 Prozent gekürzt werden sollen. Für Rindfleisch würden die Stützpreise um 30 Prozent, für Weizen um 20 Prozent sinken. Zwar sollen zum Ausgleich Direktbeihilfen an landwirtschaftliche Betriebe gezahlt werden. Höhe und Bemessungsgrundlagen sind aber noch unklar. Sicher ist, daß die Agrarausgaben durch die Umstrukturierung nicht steigen, sondern bis 2006 auf dem derzeitigen Niveau von 40,5 Milliarden Euro eingefroren werden.
Am Montag morgen hatte EU-Agrarkommissar Franz Fischler die geplanten Änderungen in Interviews nochmals verteidigt. Er erinnerte daran, daß die Reform nötig sei, um zu verhindern, daß Getreide- und Fleischberge weiterwachsen. Sonst müßten noch mehr Lebensmittellager angelegt werden, was weitere sinnlose Kosten verursachen würde.
Daniela Weingärtner Kommentar Seite 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen