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„Geo“ durchwühlt Naturschutzgebiet

■ Sind perfekte Rätsel ähnlich unmöglich wie der perfekte Mord?

Berlin (taz) – Die TeilnehmerInnen sind „stinksauer, sprachlos“, haben einen „irrsinnig mächtig dicken Hals“, fühlen sich „mutwillig irregeführt“ oder schlicht „verarscht“. Ihr Haßobjekt: das Magazin Geo – bzw. dessen „Millennium-Rätsel“, das mit einem grotesk peinlichen Flop endete.

Seit Ende November lief das schwerste Rätsel, das es in Deutschland je gab: ein hochkomplexer Mix aus vertrackten Spezialfangfragen quer durchs auslaufende Jahrtausend, verwoben mit einem herausfordernd wirren Symbol- und Bilder-Patchwork als Schatzkarte. Ziel war ein goldener Globus (Wert 50.000 Mark); vergraben irgendwo in Deutschland. Geos hochambitioniertes Spektakel war mit reichlich Werbe-PR flankiert, medienwirksam inszeniert (Halali bei „Stern TV“), einige hunderttausend Mark teuer und kostete Tausende Rate-Verrückte, die sich für gewöhnlich in Rate-Gruppen zusammentun, Tausende Stunden Freizeit.

Ausgerechnet am Rosenmontag entschlüsselte eine Münchener Gruppe das mysteriöse „Rätsel der Rose“ und hob den Goldschatz nahe der Wartburg bei Eisenach. Jedoch: Das engagierte Naturblatt Geo, Flaggschiff des seriösen Journalismus, hatte die Goldkugel ausgerechnet in einem sensiblen Naturschutzgebiet, sogar: Bodenschutzdenkmal, verbuddelt.

Nur eine realsatirische Öko-Petitesse? Mehr: In den Rätsel-Bedingungen stand ausdrücklich, der Schatz liege „frei zugänglich“. Und fatal: Manche Goldgräber haben, glaubt man den überquellenden Internet-Foren (www.schatzsuche.com), trotz der Schilder „Wege nicht verlassen“ das geschützte Gebiet in den Tagen vor dem Fund „förmlich umgepflügt“. Andere waren sogar schon Mitte Januar mit Spaten im Zielgebiet und riefen irritiert die Geo-Hotline an: Ein Naturschutzgebiet – kann das denn sein? Die Hotline-Antwort: Man möge alles „noch mal überdenken“. Auch im Internet tauchten Debatten auf, ob ein Naturschutzgebiet in Frage komme. Die Geo-Leute haben mitgelesen – aber nicht die Notbremse gezogen: „Wir ahnten ja nicht, daß es um das wahre Gebiet ging“, sagt bemitleidenswert zerknirscht Michael Schaper, der verantwortliche Geo- Reportagechef. Schamgebeutelt spricht er von „einem unverzeihlichen Fehler“. Die umgehende schriftliche Entschuldigung bei Ratern und Behörden war wenig wirkungsvoll: „Oberpfusch“, „absolut bodenlos“, „unlauterer Wettbewerb“, brüllt es aus dem Netz zurück.

Das Ratemartyrium ausgeheckt hat der Münchener Journalist mit dem Pseudonym CUS, der seit 1991 auch für die Sommerrätsel im SZ-Magazin verantwortlich zeichnet. CUS sagt, er habe im Zielgebiet (bei Passanten) nachgefragt. Ergebnis: frei zugänglich. Die Verbotsschilder, habe es geheißen, seien noch aus DDR-Zeiten, daher unmaßgeblich. Das habe er Geo auch schriftlich mitgeteilt. Aber kein Geo-Dokumentarist, der sonst traditionell jedes Komma auf seinen Wahrheitsgehalt seziert, hatte das nachgeprüft.

Dabei hätte eine gute Wanderkarte mit ihren grünen Markierungen schon gereicht. Und CUS ein Telefonat mit den Behörden. Deren Nummern kann er jetzt von den ironisch hilfsbereiten Rate-Aficionados im Netz listenweise nachlesen. Zudem hatte sich Geo einen zweiten bösen Schnitzer geleistet. Dem Bonner Generalanzeiger, der im Januar eine Schatzsuche-Reportage schrieb, stellte man ein Foto vom Vergraben des Schatzes zur Verfügung. Der glückliche Finder gibt jetzt zu: Genau dieses Foto hat beim finalen Herumirren im Wald die „entscheidende Rolle“ gespielt.

Ähnliches war vor fünf Jahren passiert: Damals, als der Langenscheidt-Verlag ein ähnliches CUS-Rätsel fabriziert hatte, machten findige Querrechercheure flugs den Hubschrauberpiloten aus, der das Team zur werbehaft verfilmten Vergrabeaktion (damals: RTLs „Schreinemakers“) gebracht hatte.

Sind perfekte Rätsel ähnlich unmöglich wie der perfekte Mord? Fehler lauern überall, auch bei größtmöglicher Vorsicht: So durfte CUS, der das Rätsel putzigerweise „mein Baby“ nennt, keine Spesenabrechnung an den Verlag schicken - dann hätte es ja Mitwisser um das Zielgebiet gegeben. Und alles ging im Internet-Zeitalter so unglaublich schnell. Michael Schaper: „Wir dachten, das braucht ein Jahr. Aber“, sagt er bewundernd über die Rater, „gegen diese terrierhafte Meute von gesammelter Intelligenz und Recherchekunst ist wenig auszurichten.“ Zum Rätselstart hatte Schaper im Überschwang noch erklärt, man habe CUS nur mit Mühen gebremst, den Schatz „in der Eigernordwand zu verstecken oder in einem Stausee, der nur einmal jährlich abgelassen wird“: Wie Hunderte Grabewillige dann gleichzeitig mit geschulterten Schaufeln in den Modder gewatet wären – wahrlich eine grauslig-schöne Vorstellung. Heute jedoch sind sich die Rate-Freaks sicher: Es wäre die deutlich bessere Alternative gewesen. Bernd Müllender

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