piwik no script img

Im Land des Lächelns

Vor der Bürgerschaftswahl am 6. Juni ergeht sich die Große Koalition in Bremen in gegenseitigen Lobpreisungen. Ein Wechsel zu Rot-Grün soll nicht in Frage kommen  ■ Von Kerstin Schneider

Bremen (taz) – In Bremen werden die Weichen für eine Fortsetzung der Großen Koalition gestellt. Selten waren sich CDU und SPD in dem ehemals roten Bundesland so einig wie dieser Tage. Bürgermeister Henning Scherf (SPD) und CDU-Spitzenkandidat Hartmut Perschau lassen keine Gelegenheit aus, um ihre rot-schwarze Koalition zu loben. „Die Große Koalition ist eine der erfolgreichsten im ganzen Bundesgebiet. Schröder wird sagen: Henning, das hast du gut gemacht“, strahlt Scherf in die Fernsehkameras. Für Bremen sei eine Regierung von CDU und SPD eine „sinnvolle Option“. „Die Zusammenarbeit mit Scherf ist hervorragend“, lobt auch Perschau. Mit der Wiederauflage der Großen Koalition nach der Bürgerschaftswahl am 6. Juni will er dafür sorgen, daß „rot-grüne Durchmärsche im Bundestag und Bundesrat unmöglich bleiben“.

Angesichts der demonstrativen rot-schwarzen Harmonie reagieren die Bremer Grünen mit Durchhalteparolen. Und mit Frustration: „Henning Scherf hat aus Bremen so etwas wie ein Land des Lächelns gemacht“, stöhnt die grüne Spitzenkandidaten Helga Trüpel. In der Tat pflegt Scherf Konflikte mit der CDU entweder auszusitzen oder totzuschweigen. Um die CDU „weichzuspülen“ (Trüpel) schreckt er auch vor Aussagen nicht zurück, die selbst in der eigenen Partei für Kopfschütteln sorgen. Jüngstes Beispiel: Bei einer Diskussionsveranstaltung in der Bremer Fatih-Moschee lobte Scherf ausdrücklich die „Integrationspolitik“ der Union. Die CDU gebe sich sehr viel Mühe, den Konflikt zwischen SPD und Grünen in Bonn zu entschärfen, sagte er. Scherf versicherte den Muslimen, daß sich auch der Bremer CDU- Fraktionschef Ronald-Mike Neumeyer mit der Unterschriftensammlung schwertue, und lud sie ins Rathaus ein.

Eine Woche später startete die Bremer CDU ihre Unterschriftensammlung. Kurz vorher hatten Bremer Schüler sich gegen die Abschiebung von zwei Brüdern aus Togo eingesetzt. Für ihr Engagement wurden sie von der Theodor- Heuss-Stifung und dem Bremer Senat ausgezeichnet. Während Henning Scherf den Schülern gratulierte, bereitete sein Koalitionspartner, Innensenator Ralf H. Borttscheller (CDU), die Abschiebung der Brüder vor. Scherf schwieg. Sein persönlicher Referent übernahm es, Presseanfragen abzuwimmeln: „Wir haben ein Ressortprinzip. Der Bürgermeister kann den Innensenator nicht anweisen, etwas zu tun oder zu lassen. Daß die Schüler sich veräppelt fühlen, kann ich nachvollziehen.“

Scherf, der seit über 20 Jahren im Bremer Senat sitzt, ist ein Polit- Profi, der gelernt hat, durchzuhalten. Rücktrittsforderungen überhört der Bürgermeister, der daneben auch Senator für Justiz und für kirchliche Angelegenheiten ist, geflissentlich. Untersuchungsausschüsse sitzt er aus, bis sich die Öffentlichkeit wieder beruhigt hat.

An diesem Langmut beißt sich die Oppostion die Zähne aus. Als Scherf als Justizsenator ins Kreuzfeuer der Kritik geriet, weil Beamte in der Justizvollzugsanstalt Häftlinge verprügelt hatten, forderte die Opposition von Grünen und der Wählerinitiative Arbeit für Bremen (AfB) seinen Rücktritt. Scherf hielt durch – solange bis die Oppostion die Forderung zurücknahm.

Der CDU war Scherf, der einst im sandinistischen Nicaragua bei der Kaffee-Ernte geholfen hatte, lange Zeit nicht grün. Daß Scherf die Große Koalition jetzt trotzdem fortführen will, hat einen einfachen Grund. Scherf will regieren. Schon 1987 war er als Parteilinker gegen Klaus Wedemeier angetreten und machte Stimmung gegen die CDU. Eine Große Koalition sei mit ihm nicht zu machen, tönte er damals und forderte, daß die sozialdemokratische Handschrift in der bremischen Landespolitik deutlicher werde. Scherf fiel durch. Wedemeier wurde Bürgermeister. Acht Jahre lang diente Scherf ihm treu als zweiter Mann. Bis er 1995 nach dem Rücktritt Wedemeiers seine zweite Chance sah. Er stünde für Rot-Grün, sei aber auch für eine Große Koalition zu haben, erklärte er. Die Entscheidung fiel schließlich durch eine SPD-Mitgliederbefragung, die eine knappe Mehrheit für Rot-Schwarz ergab.

„Ich habe halt dazugelernt“, sagt Scherf über sein Bündnis mit der CDU heute. Vor der Bundestagswahl empfahl er die Große Koalition deshalb auch den Bonnern. Auch aus seiner Sympathie für Lafontaine als Kanzlerkandidaten machte er keinen Hehl. Als Schröder Kanzler wurde, war Scherf das allerdings auch recht.

„Scherf hängt seinen Mantel nach dem politischen Wind“, kritisierten einige Sozialdemokraten schon vor 20 Jahren. Sie gaben ihre Parteibücher zurück und gründeten die Bremer Grünen.

Am Wochenende verpaßte die SPD-Basis ihm auf einem Bezirksparteitag allerdings einen kleinen Dämpfer. „Welche Koalition wir hier nach dem 6. Juni eingehen, das entscheiden wir hier gemeinsam“, rief SPD-Landeschef Detlev Albers Scherf zu – unter dem tosenden Beifall der Delegierten.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen