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Kästners Berlin

■ Literarischer Spaziergang von Stattreisen zu den Orten, an denen Kästner schrieb und lebte

Treffpunkt Kronprinzenpalais, in dem gerade eine Ausstellung zu Erich Kästners hundertstem Geburtstag gezeigt wird. Wir gehen vorläufig zu Fuß und besuchen Straßen und Plätze aus Kästners Leben und Romanen. Ein kalter Wind pfeift Unter den Linden, und die Reisegruppe flieht hinter das Operncafé. Hört dort die „Entwicklungsgeschichte des deutschen Sonntags“. Kästners leiser Spott über deutsche Bürgertugenden regnet auf die Hörer herab. Und weil Sonntag ist, sagt der Führer von Stattreisen, daß dies hier ein Sonntagsspaziergang ganz anderer Art sei.

Wir wandern zum Bebelplatz, wo 1933 auch Kästners Bücher brannten. Hören einen Bericht, wie er selbst, der als einziger der dort verbrannten Autoren erschienen war, die Verbrennung erlebte. Wir blicken tief hinab in Micha Ullmanns leere Bücherwände, und der Stadtführer liest das Gedicht „Kennst du das Land, wo die Kanonen blüh'n?“ Es ist kalt und zugig auf dem Platz. „Wir zittern ja nicht wegen der Kälte“, sagt der Reiseleiter und führt uns weiter auf bekannten Berliner Pfaden, die uns bald zum Gendarmenmarkt führen und in Kästners Berliner Anfangszeit, als er noch Theaterkritiken für eine Leipziger Tageszeitung schrieb.

Damals war der legendäre Leopold Jessner Intendant am Schauspielhaus. Jessner, der später zwangsweise den Hut nehmen mußte, weil er ästhetisch und rassisch nicht den nationalen Vorstellungen entsprach. Wir hören einen Kästner-Text dazu. Dann geht es durch die schicken Friedrichstadt- Passagen, man hört Kästner über die alte Kaiserpassage höhnen und den dort feilgebotenen Tand. Wieder sind die Leute froh, weil sie glauben dürfen, daß sich bis heute nichts verändert hat. Die U-Bahn bringt uns dann zum Potsdamer Platz. Inmitten der rings emporwachsenden Häusertürme stelle ich mir gerade vor, wie alles wieder wird, da sagt der Reiseleiter, daß es doch nie mehr so wie früher wird, und schimpft auf die Investoren.

Vor dem Delphi-Kino an der Kantstraße erfahren wir dann, wie es kam, daß Erich Kästner überhaupt Kinderbücher zu schreiben begann. An allem war nämlich die Witwe Siegfried Jacobsohns schuld, die nun die Weltbühne herausgab, deren Redaktionsräume sich im Haus schräg gegenüber befanden. Sie bestellte den ersten Kinderroman bei Kästner, vielleicht weil sie spürte, daß hinter diesem zweitklassigen Tucholsky noch ein erstklassiger Kästner zu entdecken war.

1944 wurde Kästner ausgebombt, und am Bahnhof Zoo hören wir zum Schluß einen Bericht von dieser Bombennacht, als Kästner seine Wohnung verlor: „Den Schlüssel hab ich noch. Wohnung ohne Schlüssel ist ärgerlich. Schlüssel ohne Wohnung ist geradezu albern.“ Esther Slevogt

Nächster Kästner-Spaziergang: Sonntag, 14 Uhr, Treffpunkt Kronprinzenpalais, Unter den Linden

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