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Ein amerikanisches Lehrstück

■ Nur die USA können den Balkan-Konflikt entmilitarisieren, die Europäer müssen zumindest zeigen, wie er danach zu befrieden ist

In letzter Minute wurde in Rambouillet ein Modus operandi für die Eindämmung des Kosovo- Konflikts gefunden. Er birgt den Keim einer künftigen Ordnung des Landes in sich. Die Aussichten sind vage, gleichwohl macht sich vorsichtige Erleichterung breit. Auch wenn die Verhandlungen noch nicht zu einem Vertrag führten, so läßt sich zumindest ein Resümee bereits ziehen: Die USA stellten mit ihrem manifesten Auftreten ein weiteres Mal unter Beweis, daß sie die zur Zeit einzige Macht sind, die in der Lage ist, eine solche Krise zu bewältigen. Bereits in Bosnien erzwangen sie eine Regelung mit einer Kombination von praktizierter diplomatischer und angedrohter militärischer Intervention. Die europäischen Bündnispartner, zuvor noch durch divergierende Interessen gelähmt, paßten sich dem amerikanischen Vorgehen klag- und hilflos an.

Der Erfolg hat eine Kehrseite. Wurde seinerzeit in Bosnien der Völkergemeinschaft noch vorgeführt, daß sie eigentlich keine Rolle mehr in dem Verfahren spielt, so wurde im Kosovo-Konflikt deutlich gemacht, daß auch das Völkerrecht zu einer Quantité negligeable schrumpft, wenn es der Sache nicht dienlich ist. Und die Sache – das Vermeiden weiteren Blutvergießens, die Eröffnung einer zivilen Perspektive – hat so viel Überzeugungskraft, daß die Akzeptanz bis weit in die Reihen der einstigen Gegner einer interventionistischen Politik wächst. Als eine große Mehrheit des Bundestages dem Einsatz von Kampfflugzeugen zustimmte, waren sich alle, auch die Grünen, bewußt, mit welchen völkerrechtlichen Notlügen man sich über einen Mangel an Legitimation hinweghalf, der noch vor wenigen Jahren ein wütendes „Wehret den Anfängen!“ provoziert hätte. Mittlerweile ist der Schrei erstickt an der eigenen Hilflosigkeit angesichts der humanitären Katastrophen.

Das Unbehagen bricht sich nun auf andere Weise Bahn. Die Zahl derer wächst und die Protagonisten werden prominenter, die mit der amerikanischen Vormachtstellung hadern, die geneigt sind, im Vorgehen des State Departments vor allem Interessenpolitik zu erkennen. Und Washington bietet keinen Anlaß, diesen Vorhaltungen ihre Berechtigung abzusprechen. So unilateral wie möglich, so multilateral wie nötig, so lautet explizit die Maxime, nach der US- Präsident Bill Clinton in den letzten beiden Jahren seine Außen- und Verteidigungspolitik ausgerichtet hat. Und so gewinnen das praktische Vorgehen in Bosnien und das im Kosovo geradezu normative Kraft. Diese Politik wendet sich gegen die UN, sie wendet sich aber vor allem gegen eine erstarrte und obsolet gewordene Nachkriegsordnung, die Rußland noch immer ein Vetorecht im Sicherheitsrat zubilligt, obgleich dem keine Macht und vor allem keine gestaltende Kraft mehr entspricht. Diese Politik antizipiert dabei keine neue Ordnung, sondern erschöpft sich in der Selbstgefälligkeit, mit der Madeleine Albright ihr Land als unentbehrliche Nation klassifizierte, die weiter sei, weiter in die Zukunft sehe und deren vitale Interessen es zu wahren gelte.

Dieser Unilateralismus manifestiert sich auch gegenüber den Bündnispartnern. Er drückt der neuen Nato-Strategie seinen Stempel auf. Aus der völkerrechtlichen „Ausnahme“ eines Kosovo-Lufteinsatzes soll eine vertragliche Regel gezimmert werden, deren Widersinnigkeit kaum besser zum Ausdruck gebracht werden kann als durch den Begriff der Selbstmandatierung. Dieser Unilateralismus definiert Interessen ohne räumliche und Gefährdungslagen, ohne kategorische Grenzen. (So gewinnt die Terrorismusbekämpfung einen ähnlichen Stellenwert wie die Landesverteidigung.) Er findet, wo er das Völkerrecht ignoriert, eine normative Gebundenheit allenfalls in der demokratischen Verfaßtheit der Nato-Staaten. Doch bietet das universalistische Fundament keine hinreichende Basis für ein universelles Auftreten. Die demokratische Verfaßtheit kann einzelnen Maßnahmen, wo sie im Widerstreit mit dem Völkerrecht stehen, allenfalls Glaubwürdigkeit, aber keine Legalität geben. Und glaubwürdig wird eine Politik der Nato-Staaten nur dann auf Dauer sein, wenn sie zugleich auf eine veränderte Verfassung der Vereinten Nationen hinwirkt, die dem eigenen Handeln wieder Rahmen und Legitimität geben kann.

In der Diskussion um die künftige Nato-Strategie stehen den amerikanischen Anforderungen die eher reduzierten und normengebundenen Positionen der Kontinentaleuropäer, vor allem Frankreichs und – seit dem Regierungswechsel – auch Deutschlands gegenüber. Diese opponieren gegen eine Nato als globales Interventionsinstrument ebenso, wie sie auf die Mandatierung von Einsätzen pochen. Diese beiden Fragen sind für die Zukunft von größerer Bedeutung als die von Deutschland initiierte Kontroverse um den first use von Atomwaffen.

Es zeugt von ungewollter Ironie, wenn der französische Außenminister Hubert Vedrine als Gegengewicht zur amerikanischen „Hyperpower“, den europäischen Staaten ausgerechnet Methoden, Strategien und Taktik des Containments empfiehlt. Greift er doch zum einen zu den Arsenalen des so Befeindeten, und muß er doch zugleich eingestehen, daß die Europäer, selbst wenn sie wollten, kaum zu solch einem Containment in der Lage wären. Die Europäer sind zu leicht, um ein Gegengewicht zu bilden. Am ehesten wird noch ihre wirtschaftliche Macht diesem Anspruch gerecht. Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion wird die ökonomische Hegemonie der USA in der atlantischen Gemeinschaft beenden. An der militärischen Vormachtstellung halten sie jedoch fest, ja sie bauen sie aus, auch wenn die Belastung der eigenen Volkswirtschaft dadurch steigt. Im Widerspruch zum wachsenden wirtschaftlichen Gewicht der Europäischen Union steht deren geringe außen- und verteidigungspolitische Handlungsfähigkeit. Das Unvermögen zum konzeptionellen Vorgehen, die Unabgestimmtheit, ja geradezu Widersprüchlichkeit der nationalen Positionen konnten zuletzt beispielhaft am Fall Öcalan studiert werden. In der Konsequenz ist der europäische Einfluß auf die Türkei auf ein Minimum gesunken, der Anspruch eines menschenrechtsorientierten Eingreifens richtet sich erneut auf den Nato-Partner USA und hat Chancen, weil er deren strategischen Interessen in der Region nicht widerspricht.

Auch die Institutionalisierung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verspricht wenig Abhilfe, solange ihr weder Kontinuität noch Kompetenz im erforderlichen Maße zugestanden wird. Eine gemeinsame Außenpolitik entsteht nicht dadurch, daß der kleinste Nenner gefunden wird, sondern dadurch, daß Souveränität abgetreten wird. Zur Wirksamkeit einer solchen GASP gehört auch die Verfügung über militärische Mittel. Der Aufbau der Westeuropäischen Union (WEU) taugt nicht so sehr als Vedrines Gegengewicht zur USA, sondern vielmehr als ein Element einer Kombination von militärischen, politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen mit der auf Konflikte wie die im ehemaligen Jugoslawien flexibel reagiert werden kann. Die Nato ist ein Militärbündnis ohne korrespondierende zivile Strukturen. Diesem Mangel kann auf europäischer Ebene mit einer engen Verzahnung von Außen- und Sicherheitspolitik, dem Zusammenwirken von GASP und WEU sowie deren Einbettung in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion und deren Integrations- und Sanktionsmaßnahmen begegnet werden.

Die USA werden trotzdem eine dominante Position behalten, da ihr militärisches Potential nicht ersetzt werden kann. Doch würden sich die Gewichte innerhalb des Bündnisses zugunsten der europäischen Partner verschieben. Diese sind in ihrer Mehrheit sozialdemokratisch, es liegt an ihrem politischen Willen, den entsprechenden friedenspolitischen Vorstellungen im Bündnis dann auch mehr Gewicht zu verleihen.

Im Kosovo werden die USA noch auf absehbare Zeit eine zentrale Rolle spielen. Doch in Bosnien können die europäischen Partnerstaaten zeigen, wie der erzwungene Frieden durch eine längerfristige Strategie des Aufbaus und der Integration stabilisiert werden kann. Das wäre allemal hilfreicher, als in überwunden geglaubter Manier über die Verteidigungsidentität Europas zu räsonieren. Dieter Rulff

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