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„Die großen Teehändler hassen mich“

Günter Faltin, Professor für Wirtschaftspädagogik an der FU Berlin und Begründer der Teekampagne, sucht unorthodoxe Wege zwischen Nadelstreifenökonomen und Öko-Fundamentalisten. Durch den Warentest-Pestizid-Bericht profitiert er  ■ von Annette Rollmann

Der Mann mit hagerer Schreibtischfigur läuft unruhig hin und her, steigt über Blätter und Bücher. „Na, wo sind sie denn, die Fotos von mir?“ fragt er zerstreut. Auf dem Parkettboden seiner Altbauwohnung türmen sich große Haufen Papier. Dazwischen irgendwo müssen die gesuchten Bilder liegen. Er will keine neuen Porträtaufnahmen von sich machen lassen: „Da verkrampfe ich mich immer so.“

Der Mensch Günter Faltin sucht nicht die öffentliche Bühne, der Professor liebt sie. Faltin lehrt an der Freien Universität Berlin Wirtschaftspädagogik und hat sich auf Existenzgründungen spezialisiert. Der unorthodoxe Ökonom bezeichnet seine Disziplin als „entrepreneurship“. Der 55jährige entwickelt neue Ideen und Konzepte unternehmerischen Handelns, die er am Markt erprobt.

„Wenn ich mich mit meinen Ideen beschäftige, berauscht mich das regelrecht“, hatte er kurz zuvor noch in seinem Institusbüro gesagt. Und das er nicht übertreibt, sondern seine Ideen „seine Kinder sind“ ahnt man spätestens, wenn er Sätze sagt wie: „Es geht darum, „den Markt kreativ zu zerstören, damit Neues entsteht“.

Oder: „Ich will zeigen, daß man mit guten Konzepten jederzeit in jeder Branche auch den ganz Großen zum Konkurrent werden kann.“ Und obwohl er das seinen Studenten schon oft vorgetragen hat, entwickelt er auch an diesem Vormittag seine Theorien so lebendig, fast missionarisch, als sei es das erste Mal.

Den Beweis, nicht im Elfenbeinturm der Wissenschaft zu sitzen, hat er schon vor Jahren angetreten: 1985 gründete der Volkswirt die Teekampagne und zeigte, daß er auch als Unternehmer erfolgreich sein kann.

Das Prinzip der Teekampagne ist einfach: Reduzierung der Sortenvielfalt auf hochwertigen Darjeeling; Import ohne Zwischenhändler; Verpackung in große Einkilomengen; finanzielle Ersparnis durch Versand.

Das Ergebnis: Das Unternehmen mit einem jährlichen Umsatz von 15 Millionen Mark und rund 140.000 Kunden ist mittlerweile das größte Teeversandhaus in Deutschland. „Die großen Teehändler hassen mich, weil die Teekampagne zu einer ernsthaften Konkurrenz geworden ist.“

Seit Februar werden sie dies ohnehin noch mehr tun, da die Stiftung Warentest grüne Tees getestet hat und bei mehr als der Hälfte der Stichproben einen „starken“ Gehalt an Pestiziden gefunden hatte. Während zusätzlich in dem Bericht die traditionellen Händler mit ihren Teesorten insgesamt schlecht abschnitten, kam die Teekampagne bei der Stiftung Warentest sehr gut weg.

Aber der Markt sei nun mal der Markt der Möglichkeiten, sagt er selbstbewußt. Und womöglich hat er die Fähigkeit, „Alternativen sinnlich erfahrbar zu machen“, von seiner Mutter mit auf den Weg bekommen.

In der katholischen Kleinstadt Bamberg, wo Faltin aufwuchs, leitete sie in den fünfziger Jahren einen Hausfrauenbund.

Zum Unmut ihres Ehemannes und seiner Freunde organisierte die Mutter für die Nachbarsfrauen Fahrten nach Italien, dem Inbegriff des lasterhaften Dolce Vita. „Das war damals etwas Unerhörtes. Die Frauen lernten, daß es auch noch etwas anderes als ihre Männer und die Enge der Küche gibt.“ Aber auch der junge Faltin hielt sich nicht an die Regeln: In der Schule studierte er unter der Bank die Aktienkurse, um dann mit seinem Geld an der Börse zu spekulieren.

Der Großvater, ein Unternehmer, hatte seinem Enkel ein Investmentzertifikat geschenkt. „Geld galt bei der Lehrerschaft als etwas Unseriöses.“ Und auch der Vater, ein angestellter Ingenieur, konnte mit den Vorlieben seines Sohnes wenig anfangen.

Doch für den Ökonom Faltin war der freie Markt kein Feindbild, sondern eine Herausforderung: Das Monopoly in der Wirklichkeit. Gleichwohl wurde später die Teekampagne oft als Dritte-Welt-Projekt mißverstanden. Doch es ging ihm nie darum, Tee durch die Erste Welt zu subventionieren.

Im Gegenteil: Der ohnehin niedrige Weltmarktpreis würde weiter sinken, sagt der erklärte Alt-68er, der von dem neuen Elan, der damals herrschte, noch heute begeistert ist.

Als Student der Volkswirtschaft hörte er in Tübingen die Philosophen Ernst Bloch, den Politologen Theodor von Eschenburg und den Sprachwissenschaftler Walter Jens. „Ich war von der Fadheit der Volkswirte hellauf entsetzt und brachte andere Ideen mit ein“, erinnert er sich an eine Prüfung, wo ihm die ehrwürdigen Professoren Respekt zollen mußten, weil er, „gesamtökonomische Zusammenhänge so schön verdeutlichen konnte“.

Aber auch in der Gegenwart ist Faltins Elan für unkonventionelle Ideen ungebremst: Jetzt will er Wasserhyazinthen, die vor allem in den thailändischen Tropen unheilvoll Seen und Flüsse zu wuchern, sinnvoll nutzen. Bei einer thailändischen Künstlerin hat er Prototypen von Sesseln und Couchen aus den Pflanzen in Auftrag gegeben. „Die sind doch schön“, zeigt er stolz auf Sofa und Couch, die in seinem Büro wie gut plazierte Werbeträger stehen.

Die Massenproduktion dieser Möbel könnte, so glaubt er, ein großes ökologisches Problem dieser Region lösen.

Verheiratet ist Faltin nicht. Und so ist sein Tagesablauf als Single streng „seiner Berufung“ gewidmet. Morgens um fünf steht er auf und liest im Internet den „Herald Tribune“ und die „Financial Times“. „Das Handelsblatt“ hat er abonniert. Am Tag, in der Universität, widmet er sich vor allem seinen Studenten. Einige von ihnen treten bereits in die Fußstapfen ihres Professors. Mit einem Konzept für die Vermarktung von hochwertigem Olivenöl sind zwei seiner Zöglinge bereits erfolgreich, eine andere Studentin will Altenwohngemeinschaften gründen und betreuen.

„Die Studenten sind seit zwei Jahren bißfester“, sagt er und führt das auch auf die neue Rolle Berlins als Hauptstadt zurück. Die Stadt sei viel internationaler geworden. „Die Kiezmentalität, die manchmal auch die Sicht verengt hat, ist aufgebrochen.“

Aber Faltin ist mit den Gedanken ohnehin schon wieder in der Ferne, weit weg von Berlin. Man könne sich auch vorstellen, Baumhäuser in den Tropen zu bauen. Das wäre doch eine tolle touristische Idee, wenn man das ökologisch sinnvoll hinbekäme, sinniert er.

Das sei schließlich der Traum eines jeden Kindes, ein eigenes Baumhaus. Der Erwachsene Faltin hat sich seine Träume bewahrt.

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