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Vom Verein der „Wohnungsmiether“ zum Mieterverein

Seit nunmehr 111 Jahren blicken die Berliner Mieter auf eine bewegte Geschichte zurück. Grund für die Gründung eines eigenen Mietervereins 1888 war die gute Organisierung der Hauseigentümer. Heute sind 126.000 Haushalte in Deutschlands größter Mieterorganisation  ■ Von Christoph Rasch

Die 111 ist nicht gerade eine runde Zahl, „aber uns Rheinländern in Karnevalszeiten wohlvertraut“, meint eine gut aufgelegte Anke Fuchs, um dann wieder ernst zu werden. „Bezahlbare Wohnungen sind an Rhein und an Spree gleich schwer aufzutreiben.“ Auch die Präsidentin des Deutschen Mieterbundes war am vergangenen Freitag aus Köln nach Berlin gekommen, um das krumme Jubiläum des Berliner Mietervereins zu würdigen — an eben der Stelle, an der der 1888 gegründete „Verein Berliner Wohnungsmiether“ sein erstes Büro hatte.

Eine schlichte Gedenktafel schmückt nun die Solmsstraße 30, ein typisches Berliner Mietshaus, damals belegt vor allem mit Offizieren der umliegenden Kasernen und mit Pferdeställen auf dem Hof. Im Kreuzberger Kiez spiegelt sich die Geschichte brennender Wohnungsbauprobleme. Während heute immer kompliziertere Betriebskostenabrechnungen und Verhandlungen um Modernisierungsvorhaben den Mietern zu schaffen machen, war dieser vor 111 Jahren noch ein weitgehend rechtloses Wesen. Eine lange Liste von Pflichten mußte der Mieter der Jahrhundertwende unterschreiben. Rechte hatte er kaum, stets war er von „Exmission“ (Rauswurf) und „Kahlpfändung“ bei Mietrückstand bedroht.

Die Berliner Vereinsgründung war nicht nur eine Reaktion auf die schlechten Mietverhältnisse, sondern auch auf die straffe Organisationsstruktur der Berliner Hauseigentümer. Die hatten bereits 1879 ihren eigenen Zentralverband und stellten die halbe Stadtverordnetenversammlung. Noch um 1900 waren zehnmal so viele „Hausagrarier“ (Eigentümer) wie Mieter in Vereinen organisiert — rund 11.000 allein in Berlin. Grund hierfür: auch der Mieterverein blieb eine bürgerliche Institution, die proletarische Schichten nicht erreichte. Man erarbeitete einen Mustermietvertrag und verhandelte über beleuchtete Treppenhäuser und abschließbare Eingangstüren. Mit den Nöten und Realitäten der in feuchten Kellern hausenden Arbeiterklasse „hatte das nichts zu tun“, urteilt der Sozialhistoriker Peter-Christian Witt. Heute sind republikweit rund 1,3 Millionen Haushalte mit drei Millionen Menschen in Mietervereinen organisiert, Tendenz stagnierend bis rückläufig.

Allein Berlin bildet die Ausnahme. Mit 126.000 Mitgliedern ist der Berliner Mieterverein nicht nur Platzhirsch in der Hauptstadt, sondern der mitgliederstärkste in Deutschland und in puncto Zuwachs eine Ausnahmeerscheinung: Allein seit 1995 sind rund 20.000 Menschen dem Verein beigetreten. Und: die einkommensschwachen Mitglieder machen heute rund 40 Prozent aus. Laut Geschäftsführer Hartmann Vetter „ein Beweis dafür, daß der Wohnungsmarkt keineswegs so entspannt ist, wie immer behauptet wird.“

Während im Speckgürtel der Stadt und bei Luxuswohnungen die Preise purzeln, bleibt billiger Wohnraum in Berlin nach wie vor Mangelware. Hier steigen die Mieten, vor allem wegen teils explodierender Betriebskosten für Müllabfuhr, Straßenreinigung und Wasser. Viel bleibt zu tun. Im Jahr finden in den 40 Anlaufstellen rund 60.000 Beratungen statt, mit 16 festangestellten Volljuristen und 150 Honoraranwälten werden etwa 1.500 Prozesse geführt. Edwin Massalsky, der ehrenamtliche Vorsitzende, zieht eine positive Bilanz: „Man darf sich schon ein wenig als Teil der Berliner Stadtgeschichte fühlen.“

Und die bedingte wiederum die Politik des Vereins maßgeblich: Erster Weltkrieg und Revolution brachten den Hausbesitzern den Verlust ihrer Privilegien, den Mietervereinen der Weimarer Republik hingegen eine Blütezeit. 1921 waren 800.000 Mieter in Deutschland organisiert. Der durch den Krieg hervorgerufene Wohnraummangel führte zur Einsetzung von vermittelnden „Mieteinigungsämtern“ und damit zur Grundlage eines gesetzlich verankerten Mieterschutzes. 1922 schließlich schuf das Reichsmietengesetz ein soziales Kündigungs- und Mietpreisrecht. Nach 1933 versank der Mieterverein im braunen Sumpf, schaltete sich im „vorauseilenden Gehorsam“ selbst gleich und wurde mit dem Dresdner Pendant zwangsvereinigt.

Die Nazi-Zeit warf ihre Schatten noch in die Bundesrepublik der 50er Jahre: Bertold Gramse, der als Vorsitzender die Streichung des Mieterschutzes für Juden initiiert hatte, wurde erster Bundesdirektor des Deutschen Mieterbundes. Die reaktionären Kräfte wirkten auch von außen auf den nun neugegründeten „Berliner Mieterverein“.

Erst 1974 wagte der Berliner Mieterverein, erneut politisches Profil zu zeigen: mit Autocorso gegen die Erhöhung der Altbaumieten. Schließlich, 1979: die „Palastrevolution“ innerhalb der verkrusteten Vereinsstrukturen, ein neuer Vorstand und mehr Basisdemokratie. Die Verbindungen zur neuen Westberliner Wohn-Opposition, die sich etwa in Patenschaften für instandbesetzte Häuser äußerte, führte zu einem neuerlichen Mitgliederschub, und mit Massendemos und Bürgerbegehren kämpfte man gegen die Aufhebung der Mietpreisbindung.

Größte Errungenschaft in jüngster Zeit: die 1990 vollzogene Vereinigung mit dem Ostberliner Mieterverein, der sich in Wendezeiten gegründet hatte. Regine Grabowski, damals Gründungsmitglied: „Intern war der Zusammenschluß nicht umstritten.“ Es sei klar gewesen, „daß wir allein weder die Kraft noch die finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten hatten.“

Die hat der Berliner Mieterverein nach Auskunft seines Geschäftsführers inzwischen. Immerhin gibt es Streitpunkte genug. Einen davon mußte der Mieterverein auch bei der Anbringung der Gedenktafel in der Solmsstraße erfahren. Der Hausbesitzer bestand auf einem runden Schild für dieses „unrunde“ Jubiläum.

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